Die Goethe-Universität streckt ihre Fühler in alle Richtungen aus, um Wissenschaftler und Studenten für den Standort Frankfurt zu gewinnen. Der westliche Balkan war bisher ein weißer Fleck auf der Karte. Das hat sich nun geändert – dank Marcus Bleicher, Professor für Theoretische Physik an der Goethe-Universität. Mit der Universität Tuzla wurde ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, das eine weitreichende Zusammenarbeit ermöglicht.
Ziel ist es, ein Western Balkan Science Center aufzubauen, in dem Bosnier, Kroaten und Serben zusammenarbeiten. Die Uni Tuzla verfüge über gute Kontakte zu allen Universitäten in dem politisch und wirtschaftlich zerrissenen Land, sagt Bleicher. Damit habe sie sich als Vertragspartner angeboten. Die Kollegen seien „sehr, sehr engagiert“, doch es habe „der Katalysator gefehlt, etwas zusammen zu machen.
Wir waren der Kristallisationspunkt, um den herum sich das Ganze gebildet hat.“ Den Nutzen beschreibt Bleicher so: „Es ist eine gute Chance für die Goethe-Universität, sichtbar zu werden in der Region und Strahlkraft zu entwickeln.“ Zur Unterzeichnung des Abkommens kam Nermina Hadžigrahić, Rektorin der Universität Tuzla, nach Frankfurt. Sie sieht Chancen für beide Seiten.
„Bosnien-Herzegowina ist ein kleines Land mit vielen ungelösten Problemen, aber wir glauben, dass unser Land viel Potenzial hat, vor allem mit Blick auf unsere wertvollste Ressource, unsere Studenten und jungen Wissenschaftler“, sagte Hadžigrahić. Sie zeigte sich ambitioniert. „Wir hoffen, von unseren etablierteren Freunden in Deutschland zu lernen und schnell gleichwertige Partner zu werden.“
Rebekka Göhring, Leiterin des International Office der Goethe-Universität, erwartet ebenfalls einen produktiven Austausch. „Das Rektorat und die Kollegen an der Universität Tuzla sind hochmotiviert. Es ergeben sich in der Zukunft sehr gute Anknüpfungspunkte für eine gute Zusammenarbeit, zum Beispiel bei interdisziplinären Sommerschulen in den Naturwissenschaften.“ Der offiziellen Vereinbarung ging viel Arbeit voraus. Beteiligt waren die Universitäten Frankfurt, Tuzla, Mostar, Banja Luka, Zagreb und Novi Sad.
Es entstanden persönliche Kontakte, Studenten wurden als „Botschafter“ ausgewählt. Die Vorarbeiten mündeten im vergangenen August in einem Symposium im bosnischen Neum, an dem Physiker, Mathematiker, Biophysiker und Gesellschaftswissenschaftler teilnahmen. „Das lief viel besser, als wir uns das vorgestellt haben.“ Bleicher erlebte die Teilnehmer als „unglaublich motiviert und engagiert“. Als hätten sie nur darauf gewartet, einen Anstoß von außen zu bekommen.
Hoffnung für ein gesellschaftlich zerrissenes Land
Natürlich interessieren die Goethe-Uni die Forschungen der Kollegen in Bosnien, doch es geht auch um Gesellschaftliches. „Man muss die Leute wieder zusammenbringen“, sagt Bleicher. „Wir tragen zum Demokratisierungsprozess bei.“ Gesprochen wurde bei dem Symposium nicht nur über Projekte in der Physik, sondern auch über das Zusammenleben im Land.
Seit dem Bürgerkrieg in den neunziger Jahren kämpft Bosnien mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Korruption. Auch in den Universitäten ist das zu spüren. Deshalb seien Wissenschaftler und Studenten froh, an europäische Standards anzuknüpfen, berichtet der Physik-Professor. Nun soll der Austausch vertieft werden. Zwei Studenten aus Sarajewo kamen im Rahmen eines gemeinsamen EU-Projektes im April 2018 nach Frankfurt zu Forschungsarbeiten.
Das Programm, das der DAAD fördert, geht in die nächste Runde. Geld, das Bleicher gut verwenden kann. „Wir planen eine EU-finanzierte Sommerschule in Tuzla.“ Dank der Fördergelder können auch Drittmittel eingeworben werden, damit das Ziel, ein Western Balkan Science Center aufzubauen, erreicht werden kann.
Auch die Goethe-Uni profitiert von dem Abkommen. Bleicher, versiert in internationalen Kooperationen, schaut sich natürlich um. „Wir wollen gute Leute nach Deutschland holen.“ Einige der besten Köpfe aus Bosnien werden vielleicht bald in Frankfurt forschen.
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Marcus Bleicher ist seit 2010 Professor für Theoretische Physik an der Goethe-Universität und Senior Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies weist mehr als 200 peer-reviewed Publikationen auf und ist seit vielen Jahren in zahlreichen nationalen und internationalen Einrichtungen und Gremien tätig. Er ist Wissenschaftlicher Direktor des vormaligen LOEWE-Zentrums Helmholtz International Center for FAIR (HIC for FAIR).
Für weitere Informationen siehe www.hicforfair.de und wissenschaft.hessen.de. Er engagiert sich seit geraumer Zeit für die Internationalisierung in seinem Fachgebiet an und mit der Goethe-Universität durch die Organisation internationaler Austauschprogramme, Graduierten-Programme, Lecture Weeks etc. und initiierte bereits erfolgreich Kooperationen mit Universitäten in Kuba, Thailand und Bosnien, die langfristig konsolidiert und ausgebaut werden sollen.
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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.18 des UniReport erschienen. PDF-Download »