Philanthropie und Macht / Interview mit dem politischen Philosophen Theodore M. Lechterman

Der Politische Philosoph Theodore M. Lechterman erforscht als Fellow am Forschungskolleg Humanwissenschaften, wie Stifterkultur und Demokratie zusammenpassen.

UniReport: Herr Dr. Lechterman, spielt Philanthropie in modernen Gesellschaften eine immer größere Rolle? Womit könnte das zusammenhängen?

Dr. Theodore Lechterman: Bestimmte Formen von Philanthropie gab es immer schon in nahezu allen Gesellschaften, die privaten Besitz zulassen. Doch heute ist Philanthropie sicherlich zu einem wichtigen Bestandteil des öffentlichen Lebens geworden, und zwar aus folgenden Gründen: – Ein insgesamt wachsender Lebensstandard bedeutet, dass ein höherer Anteil der Bevölkerung über ein Einkommen verfügt, das potenziell gespendet werden kann. – Der Wohlfahrtsstaat zieht sich auf vielerlei Weise zurück, das eröffnet privaten Spenden mehr Möglichkeiten. – Eine wachsende Ungleichheit bedeutet, dass die Reichen heute über einen unglaublichen Reichtum verfügen, der eingesetzt werden kann, die Lücken zu füllen, die ein sich zurückziehender Staat hinterlässt. – In einer zunehmend komplexeren Welt, in der das Individuum angesichts massiver struktureller Kräfte nur über eine begrenzte Macht verfügt, verspricht Philanthropie anscheinend ein System, sich auszudrücken und zu handeln.

In einem Artikel haben Sie sich damit auseinandergesetzt, wie Amazon-Gründer Jeff Bezos einen Teil seines Vermögens spenden möchte. Was genau kritisieren Sie daran?

Bezos hat angekündigt, für Obdachlosenunterkünfte in Seattle zu spenden; in der Stadt, in der Amazon seinen Firmenzentrale hat, ist Obdachlosigkeit ein großes Problem. Ich gebe zu, dass Bezos möglicherweise die besten Absichten damit verbindet und dass Obdachlose dringend Unterstützung benötigen. Aber mein Argument lautet: Diese Art der Spende gefährdet einige Grundprinzipien politischer Moralität. Die Mitglieder einer politischen Gemeinschaft haben die gemeinsame Gerechtigkeitsverpflichtung, einen ausreichenden sozialen Mindeststandard sicherzustellen; und sie besitzen ebenso das demokratische Recht auf eine gleichwertige Stimme in Entscheidungen, die zentrale Angelegenheiten des öffentlichen Interesses betreffen. Wenn private Stiftungen versuchen, Dinge der Ungerechtigkeit in Angriff zu nehmen, können sie als Instrumente der Selbstjustiz (vigilantism) dienen; sie hindern Gemeinschaften daran, ihre kollektiven Pflichten zu erfüllen, und sie entziehen kritische politische Themen einer demokratischen Rechenschaftspflicht. Seattle hatte versucht, Steuern für lokal ansässige Unternehmen zu erhöhen, gerade wegen des Ziels, Wohnen erschwinglicher zu machen, und Amazon hatte aktiv gegen diese Politik gekämpft. Daher könnte man sagen, dass Bezos teilweise dafür verantwortlich war, die Bedürfnisse zu erzeugen, auf die seine Spende reagieren sollte. Und dieser Aspekt macht die Spende zusätzlich kritisierbar.

Wenn wir das Verhalten eines Spenders bewerten wollen, spielt dann einzig und allein das Ergebnis seiner „planvollen Philanthropie“ („organized philanthropy“) eine Rolle? Kann es nicht doch erhellend sein, die Motive, die hinter seiner Spende liegen, zu diskutieren?

Es hängt ganz davon ab, warum es uns kümmert. Wenn es darum geht einzuschätzen, ob jemand ein guter Mensch ist, dann mag es sinnvoll sein, die Motive hinter einer individuellen Spende zu bewerten. Aber ich denke, dass uns die Diskussion über Motive oft von den eigentlichen Fragen wegführt: über die Rolle, die Philanthropie in der demokratischen Gesellschaft spielen sollte und wie Spenden Machtausübung darstellen. In einem großen Teil meiner Arbeit versuche ich über die allgemeine Auseinandersetzung hinsichtlich der Motive von Spendern hinauszugehen, um diese Formen struktureller Probleme anzugehen. Jemand kann mit den besten Absichten handeln und dennoch zu einer massiven Ungerechtigkeit beitragen; umgekehrt kann ein Spender mit falschen Absichten Ergebnisse erzielen, die in extremem Maße wohltätig sind.

Inwiefern kann Philanthropie eine „Ausübung von Macht“ darstellen?

Philanthropie übt Macht in mindestens dreierlei Hinsicht aus: – Macht über die Öffentlichkeit und den politischen Prozess: Viele Organisationen, die sozial und politisch agieren, hängen von Spenden ab, um sich zu finanzieren (Interessensverbände, Think Tanks, religiöse Glaubensgemeinschaften, politische Parteien und Kampagnen). In Gesellschaften, in denen Wohlstand ungleich verteilt ist, ermöglicht die Freiheit zu spenden einen größeren Einfluss der wohlhabenderen Bürger auf die soziale und politische Agenda. – Macht über die Verteilung von öffentlichen Gütern: Ein weiterer primärer Nutzen der Philanthropie ist die Verteilung von öffentlichen Gütern, von kulturellen Gütern wie Symphonien und Museen bis hin zu sozialen Diensten, die darauf ausgerichtet sind, Armut und Benachteiligung in Angriff zu nehmen. Wenn diese Güter durch eine Spende bereitgestellt werden, spiegeln sie das private Urteilsvermögen ihrer Spender wider. In manchen Fällen erlaubt dies den Spendern die Privatisierung wichtiger Fragen von öffentlichem Interesse. Und nochmal: In Gesellschaften, in denen der Reichtum ungleich verteilt ist, ermöglicht die Freiheit zu spenden einen größeren Einfluss der wohlhabenderen Bürger auf die Landschaft öffentlicher Güter. – Macht über die Empfänger von Spenden: Einige der öffentlichen Güter, die Philantropisten zur Verfügung stellen, zielen darauf, benachteiligten Personen zu helfen. Aber wenn diese Güter als „Geschenk“ verteilt werden, fehlt den Empfängern die Möglichkeit, die Entscheidungen, die ihre grundlegenden Bedürfnisse betreffen, zu beeinflussen oder zu hinterfragen. Es liegt ausschließlich beim Spender zu entscheiden, ob, wann und wie diese Güter verteilt werden. Diese hierarchische Beziehung erzeugt die Möglichkeit von Herrschaft, Unterordnung und Paternalismus.

In gewisser Weise ist es sehr wohlfeil, Philanthropie und Spenden zu kritisieren. In Ihrer Forschung als Politischer Philosoph beschäftigen Sie sich mit legitimen demokratischen Zielen, die dem Spenden zugrunde liegen. Könnten Sie diese einmal erklären?

Es ist in der Tat sehr einfach, gegenüber der Philanthropie zynisch zu sein, indem man die Motive der Spender hinterfragt oder indem man behauptet, dass Philanthropie einfach nur Ungerechtigkeit verdeckt oder aufrechterhält. Meine Untersuchung beginnt bei der Frage, ob das Ideal der Demokratie Möglichkeiten für die Ausübung der Philanthropie bietet. Ich behaupte, dass Philanthropie in einer demokratischen Gesellschaft eine wertvolle Rolle spielen kann. Idealerweise sollte sie der Finanzierung diskretionärer öffentlicher Güter dienen – Güter, die im Sinne der Gerechtigkeit nicht erforderlich sind – und Formen öffentlicher Äußerung; und Philanthropie sollte dies zu Bedingungen tun, die jedem Bürger die faire Chance bieten, sich zu beteiligen. Aber weil die Rahmenbedingungen für dieses Ideal augenblicklich nicht gegeben sind, kann Philanthropie auch eine wichtige Rolle spielen, dabei zu helfen, diese Bedingungen herzustellen.

Spender spielen zunehmend eine wichtige Rolle auch in der Hochschulbildung; was ist der besondere Charakter dieser Art von Philanthropie, mit welchen Herausforderungen sehen sich die Hochschulen konfrontiert?

Hochschulbildung ist sehr interessant, weil sie für meine Theorie eine Mischform darstellt. In einer komplexen modernen Gesellschaft ist der Zugang zur Hochschulbildung erforderlich, um Chancengleichheit zu genießen – ein zentrales Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit. Und dieser Aspekt der Bildung sollte idealerweise öffentlich finanziert werden und einer öffentlichen Rechenschaftspflicht unterliegen. Doch andere Aspekte der Hochschulbildung sind wohl nicht im Sinne der Gerechtigkeit erforderlich, und daher idealerweise für philanthropische Spenden geeignet. Das sind beispielsweise Dinge wie hochgradig spekulative Forschung, obskure Forschungsgebiete, zusätzliches Personal, und weitere Sonderausstattungen. Doch ich denke, dass Philanthropie im Bereich der Hochschulbildung mindestens drei Herausforderungen stellt: Die erste Herausforderung bezieht sich darauf, welche Aspekte der Hochschulbildung tatsächlich diskretionär und daher geeignet für philanthropische Spenden sind. Eine zweite Herausforderung ist die Ungleichheit, die durch Philanthropie erzeugt werden kann. Stellen Sie sich vor: Heidelberg bekommt fünf Mal so viel an Spenden wie Frankfurt, was dazu führt, dass die Heidelberger Studierenden nach ihrem Abschluss beträchtliche Vorteile auf dem Arbeitsmarkt genießen. Eine dritte Herausforderung ist ein Gleichgewicht der Kräfte zwischen Spendern und den Universitäten. Universitäten sind aufgrund der Kontrolle durch die Fakultätsleitung besser dazu in der Lage, sich den Eingriffen von Spendern zu entziehen, als viele andere Nutznießer der Philantropie. Eine Fakultätsleitung kann dazu beitragen, die geistige Freiheit vor der Gefährdung durch externe Kräfte zu schützen. Doch wenn es um das große Geld geht, können Universitäten unter dem Druck stehen, mehr Kontrolle der Spender zuzulassen, als gesund oder fair ist.

Fragen: Dirk Frank

Mehr Informationen: www.theodore-lechterman.com

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 4.19 des UniReport erschienen.

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