Mit dem Flieger Menschenleben retten

Mit der »Seabird« unterwegs. Foto: David Lohmüller

Omar El Manfalouty, Doktorand der Geschichtswissenschaft, ist ehrenamtlich als Pilot im Mittelmeerraum und seit Kurzem auch zur Grenze der Ukraine unterwegs.

Die Welt schaut gerade gebannt in Richtung Ukraine, der Krieg gegen das europäische Land erzeugt vor allem in Europa große Sorgen um eine militärische Eskalation. Aber auch viel Mitgefühl mit der Bevölkerung des gebeutelten Landes. Für die meisten Menschen im Westen liegt der Kriegsschauplatz sehr weit weg. Omar El Manfalouty hat das Leid derjenigen, die sich auf die Flucht aus der Ukraine aufmachen, intensiv begleitet. Der 29-Jährige ist als Pilot für die in der Schweiz ansässige Humanitarian Pilots Initiative (HPI) im Einsatz, fliegt medizinisches Material nach Polen, Rumänien und Bulgarien bis kurz vor die Grenze, nimmt auf dem Rückflug Kranke und Verletzte aus der Ukraine mit in den Westen.

Der Traum vom Fliegen

Seit 2018 ist der angehende Historiker und passionierte Pilot ehrenamtlich unterwegs, an ganz unterschiedlichen Einsatzorten. In Egelsbach geboren und aufgewachsen, entdeckt Omar El Manfalouty bereits als Jugendlicher die Liebe zur Fliegerei: Ferienjobs und schließlich auch ein Praktikum auf dem „verkehrsreichsten Flugplatz der allgemeinen Luftfahrt in Deutschland“ vermitteln ihm erste Einblicke in den Flugbetrieb.

Seit 2018 ist er für die Humanitarian Pilots Initiative im Einsatz: Omar El Manfalouty. Foto: Felix Weiß

Als er mit 18 das Abitur macht, ist bei ihm durchaus der Gedanke da, sich bei der Lufthansa als Pilot zu bewerben. Der Einstellungsstopp bei dem Unternehmen steht dem entgegen, der junge Mann entscheidet sich, einem anderen großen Interesse nachzugehen: Er schreibt sich für ein Studium der Geschichte, Archäologie und Rechtswissenschaft an der Goethe-Universität ein.

Die Alte Geschichte, merkt er bald, hat es ihm besonders angetan. Zufällig „stolpert“ er, wie er erzählt, im letzten Jahr seines Bachelor-Studiums über die Ausschreibung für das Deutschland-Stipendium. Er bewirbt sich, mit Erfolg. Nun kann er entspannter und mit noch mehr Hingabe studieren. Omar El Manfalouty spart im Studium viele Jahre für den Pilotenschein: 2016 kann er diesen Traum endlich wahr werden lassen, 2017 besteht er die Prüfung. Was am Anfang eher als Hobby gedacht ist, wird dann doch mehr. „Ich habe gemerkt, dass mir Fliegen wirklich liegt“, erinnert er sich. Später wird er sogar noch die Fluglehrerberechtigung und die Lizenz, Verkehrsmaschinen zu fliegen, erwerben. „Ohne die entscheidende Unterstützung durch das Deutschland-Stipendium im B.A./M.A.-Studium wäre das nie möglich gewesen“, stellt er fest.

Von Egelsbach in den Mittelmeerraum

Über einen Vereinskollegen knüpft er Kontakt zur Humanitarian Pilots Initiative, nimmt am Assessment Center in der Schweiz teil und wird genommen. „Ich wurde dann, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht viel Flugerfahrung vorweisen konnte, bereits ziemlich schnell im Mittelmeerraum eingesetzt. Mit meinen bescheidenen Fähigkeiten an humanitären Einsätzen mitzuwirken – das hat mich sehr stark motiviert.“ Diese Einsätze sind vor allem aufgrund der stark zunehmenden Zahl an Geflüchteten aus Nordafrika notwendig. El Manfalouty nutzt vor allem die vorlesungsfreie Zeit für seine Auslandseinsätze.

Er fliegt – an Bord ein Team von Nautikern und weiteren Experten der Seenotrettung, öfter auch Journalisten und Politiker – über das Mittelmeer, um Flüchtlingsboote zu sichten. Falls ein Schiff oder Boot mit Geflüchteten entdeckt wird, werden die beteiligten Behörden benachrichtigt. „Man muss dann oft eine schnelle Lösung finden – das ist die Herausforderung bei einem solchen Einsatz“, betont Omar El Manfalouty. „Wenn man sieht, dass ein Gummiboot mit vielen Menschen an Bord auseinanderzubrechen droht, muss schnellstmögliche Hilfe her, beispielsweise durch ein in der Nähe befindliches Handelsschiff. Nach internationalem Schifffahrtsrecht sind die Kapitäne sogar dazu verpflichtet, zu helfen.“ Bei einem solchen Einsatz werden Informationen eingesammelt, dokumentiert und weitergegeben.

El Manfalouty sieht durchaus auch eine politische Dimension in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit: „Es ist wichtig, die Fakten über die Schicksale von Geflüchteten zu sammeln und nicht nur der Politik, sondern auch der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.“ Der Einsatz der Agentur Frontex habe nur wenig dazu beigetragen, dass weniger Geflüchtete versuchen, die gefährliche Überfahrt in wackligen Booten auf sich zu nehmen. „Das Gegenteil ist der Fall. Ich kann das auch deutlich mit Zahlen belegen: Für das Jahr 2021 verzeichneten wir 121 Einsatztage; dabei wurden 192 Flüchtlingsboote gesichtet. An Tagen im August, wenn die Wetterlage allgemein als günstig angesehen wird, können das schon einmal bis zu 15 an einem Tag sein. Wir haben schätzungsweise über 11 000 Menschen auf der Flucht beobachten können.“

Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine, erzählt El Manfalouty, habe man dann auch bei HPI darüber nachgedacht, wie man am besten helfen kann. Zwar sei für die meisten Flüchtenden der Landweg, in Zügen oder Reisebussen, geeigneter und auch effizienter zu organisieren, als sie über den Luftweg zu transportieren. Doch gebe es schwerkranke Menschen, die dringend Hilfe benötigten – Verletzte des Krieges, aber auch jene, die vorher bereits in Krankenhäusern behandelt wurden und nun dringend das Land verlassen müssen.

Damit es zu keinen Leerflügen kommt, werden auf dem Hinweg Medikamente und medizinische Ausrüstung transportiert. Erst kürzlich konnten dringend benötigte Babyinkubatoren nach Rumänien gebracht werden. Russische Truppen hatten vorher ein Krankenhaus in Odessa bombardiert. Wenn Omar El Manfalouty davon erzählt, spürt man seinen Zorn über solche Kriegsverbrechen. Aber er ist auch dankbar dafür, dass er bei den Flügen von und nach Osteuropa, im Unterschied zu den Einsätzen im Mittelmeerraum, auch unmittelbaren Kontakt zu den Geflüchteten aufnehmen kann.

Der ewige Kampf um Selbstbestimmung

Omar El Manfalouty ist vom ‚Hauptberuf‘ her, wie er betont, Promovend und Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Leibniz-Projekt „Polyphonie des spätantiken Christentums“ bei Prof. Hartmut Leppin. Sind die antiken Konflikte für ihn etwas, das auch bis in unsere heutige Gegenwart hineinstrahlt? Er überlegt kurz und erklärt dann: „Bei meiner ersten Mission im Mittelmeerraum war ich noch Hiwi am Historischen Seminar der Goethe-Universität. Ich hatte den Auftrag, das Werk des Polybios, des antiken Geschichtsschreibers, auszuwerten, der unter anderem über die Punischen Kriege zwischen den Römern und Karthagern geschrieben hat. Als ich dann über die tunesische Küstenlinie und nach Sizilien flog, musste ich daran denken, dass dort in der Nähe die größte Seeschlacht der Antike stattgefunden hat. Diese Naturräume und das unsichtbare Schlachtfeld vor mir zu sehen, war sehr beeindruckend.“

El Manfalouty forscht im Rahmen seiner Doktorarbeit zu Vorstellungen politischer Freiheit und Selbstbestimmung in frühen christlichen und jüdischen Gemeinden des 1. und 2. nachchristlichen Jahrhunderts. „Ich untersuche, wie Juden und Christen unter der imperialen Herrschaft Roms ihre eigenen, teils neuen Glaubensvorstellungen selbstbewusst in der Sprache politischer Freiheit und Autonomie ausdrückten.

Wenn man sich den Krieg Russlands gegen die Ukraine anschaut, geht es dabei im Prinzip auch um Autonomie und Selbstbestimmung. Die russische Seite negiert, dass sie es im Falle der Ukraine überhaupt mit einem eigenständigen Subjekt zu tun hat. Wie andererseits von der ukrainischen Seite über den Konflikt gesprochen wird, erinnert mich – bei allen Unterschieden – stark an das, was ich aus der Lektüre christlicher und jüdischer Autoren kenne: Sie bringen deutlich zum Ausdruck, dass sie selbst entscheiden wollen, wem sie ein Opfer bringen, zu wem sie gehören: Zu Gott oder zum vergöttlichten Alleinherrscher.

Es geht also – häufig entgegen unserer gesellschaftlichen Erwartungshaltung – weniger um zählbare, materielle Interessen als um grundlegende Fragen von Identität, Zugehörigkeit und Selbstbehauptung – damals wie heute. Mariupol und Masada haben mehr miteinander gemein, als man vielleicht auf den ersten Blick denkt.“ Die Beschäftigung mit Alter Geschichte, sagte der Doktorand, könne bei aller nötigen Differenzierung durchaus den Blick schärfen für zeitlose politisch-theoretische Phänomene. In dem Konflikt mit einem klaren Aggressor könne es nur eine falsche Neutralität geben, ist sich El Manfalouty sicher, ohne an dieser Stelle mit den Zeithistorikern konkurrieren zu wollen.

Er freut sich darüber, dass die Deutschen mit großer Bereitschaft den Geflüchteten aus der Ukraine Asyl gewähren, möchte an dieser Stelle aber auch daran erinnern, dass auch eine somalische Mutter, die mit ihren Kindern in einem winzigen Schlauchboot ums Überleben kämpft, unsere Hilfe benötige. Omar El Manfalouty engagiert sich nicht nur bei HPI, er sitzt auch in seiner Heimatstadt Egelsbach in der Gemeindevertretung. Sehr bescheiden spricht er über seine ehrenamtliche Tätigkeit als Pilot und betont: „Jeder kann praktisch handeln und helfen! Man kann den Geflüchteten aus der Ukraine zum Beispiel Hilfe bei Behördengängen anbieten oder ukrainische Studierende im neuen akademischen Umfeld hier bei uns unterstützen.“ Und er freut sich natürlich, wenn großzügige Spenden die Arbeit der Humanitarian Pilots Initiative weiter möglich machen.

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