»Samstags gehört Vati mir« – Arbeitszeit

© Deutscher Gewerkschaftsbund, Archiv der sozialen Demokratie

Kernarbeitszeit oder Überstunden – solche Begriffe tauchen heute in Arbeitsverträgen kaum noch auf. Ist ein Problem zu lösen, dann geschieht das eben auch nachts oder am Wochenende. 84 Prozent der Arbeitnehmer sind mit ihrem Smartphone auch außerhalb der Arbeitszeit im Standby-Modus. Flexible Arbeitszeiten und individualisierte Arbeitsmodelle bringen zwar dem Einzelnen mehr Freiheiten, um den Alltag seinen Lebensumständen anzupassen, führen aber auch zur Entgrenzung der Arbeit, nicht selten mit gravierenden sozialen und besonders gesundheitlichen Folgen.

Die erste bis dritte industrielle Revolution haben im Laufe der vergangenen zwei Jahrhunderte immer auch zu Änderungen der Arbeitszeiten geführt, was häufig mit heftigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen verbunden war. Wenn man Experten Glauben schenken darf, stehen wir mit Industrie 4.0 und der vernetzten Digitalisierung großer Bereiche vor ganz neuen Herausforderungen.

Revolution von 1848: Ruf nach arbeitsfreier Zeit für politische Beteiligung

Es waren die Monarchien in den 1830er Jahren, die die ersten Arbeitszeitbeschränkungen einführten. So wurde beispielsweise in Preußen festgelegt, dass jugendliche Arbeiter nachts nicht in Fabriken arbeiten durften und am Tag maximal zehn Stunden. Hintergrund war: Die heranwachsenden Untertanen waren so geschwächt, dass sie als Soldaten nicht mehr leistungsfähig genug waren.

»Die Forderung nach einem Acht- oder Zehn-Stunden-Tag während der 1848-Revolution in Deutschland und Frankreich war dagegen auch von dem Ruf nach arbeitsfreier Zeit für politische Beteiligung getragen «, erläutert Otto Ernst Kempen, Professor für Arbeitsrecht an der Europäischen Akademie der Arbeit in Frankfurt und Honorarprofessor an der Goethe-Universität.

Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren 16 Stunden pro Tag in den Fabriken keine Seltenheit, die sich formierenden Arbeiterbewegungen setzten in England noch im 19. Jahrhundert einen Zehn-Stunden-Tag durch. Auch in Deutschland übernahmen später die Gewerkschaften den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen.

»Das 1919 in der Weimarer Verfassung erstmals festgeschriebene Koalitions- und Tarifrecht ermöglichte den Gewerkschaften auch, Arbeitszeiten mit den Arbeitgebern auszuhandeln«, so Kempen. Maßgeblich an diesem Verfassungspassus, der auch heute noch im Grundgesetz verankert ist, war übrigens Hugo Sinzheimer beteiligt, der als »ordentlicher Honorarprofessor« an der Goethe-Universität der erste Vertreter des Arbeitsrechts an einer deutschen Universität war: »Er war der Architekt des kollektiven Arbeitsrechts«, so sein Biograf Kempen.

Die Fünf-Tage-Woche: »Mehr Freizeit für alle«

Die Sechs-Tage-Woche mit Acht-Stunden-Tag wurde zur Norm – bis die Gewerkschaften Mitte der 1950er Jahre mit dem Slogan »Samstags gehört Vati mir« den Kampf für eine Fünf-Tage- Woche starteten, was erst zehn Jahre später voll durchgesetzt werden konnte. Mit der Debatte um den freien Samstag im Wirtschaftswunderland wurde die Diskussion über Work-Life- Balance eröffnet: damals noch mit »Vati für die Familie« und »mehr Freizeit für alle« umschrieben.

© Priteg-Nachrichten, 1. Jg. 1922, H.3; S.65

Das motivierte die Beschäftigten, rief aber auch Bedenkenträger auf den Plan, wie Heinrich Nordhoff, langjähriger Generaldirektor der VW-Werke. Er sah den freien Samstag als »ein schönes Geschenk«, »aber für viele auch als Fluch«:

»Die trostlose Flachheit, mit der die meisten ihre freie Zeit vertrödeln, würde noch stärker zu Tage treten.« Ewiges Wachstum schienen Zeiten der Vollund Überbeschäftigung zu verheißen; in dieser Phase waren auch die Frauen in Teilzeitarbeit willkommen, nicht unbedingt zur Freude der bis dato so stolzen alleinigen Ernährer der Familie.

Einher ging diese Phase auch mit der Anwerbungspolitik für »Gastarbeiter«. Doch in den frühen 1970er Jahren endete die stete Nachfrage nach Arbeitskräften mit der Ölkrise und einer Rationalisierungsoffensive in vielen Bereichen der Industrie.

Für die Gewerkschaften war dies Anlass für den Einstieg in die 35-Stunden- Woche. Denn Arbeitszeitverkürzung für 20 Millionen Arbeitnehmer sei besser als Arbeitslosigkeit für weit über zwei Millionen, so Franz Steinkühler, 1986 bis 1993 Vorsitzender der Gewerkschaft IG Metall.

Zwar setzte die IG Metall 1995 endlich die 35-Stunden-Woche in der Druck-, Metall- und Elektroindustrie durch; doch gleichzeitig erwirkten die Arbeitgeber auch, dass die Arbeitszeiten den konjunkturellen Schwankungen flexibler angepasst werden können – beispielsweise durch Arbeitszeitkonten und Kurzarbeit.

In den vergangenen Jahren haben Tarifverträge und Hartz-Reformen zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten beigetragen, der Arbeitsumfang hat sich dagegen nicht wesentlich verändert. Überstunden werden meist abgefeiert, der Jahresurlaub – der noch in den 1960er Jahren bei durchschnittlich 15 Tagen lag und heute bei 30 Tagen – blieb weitgehend unangetastet.

Durchschnittlich 26,3 Stunden pro Woche arbeiten und doch am Limit – Was steckt dahinter?

Nach eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben die Deutschen 2015 im weltweiten Vergleich am wenigsten gearbeitet: nämlich nur 1 371 Stunden im Jahr (die Griechen 2 042 Stunden; am Ende der Tabelle die Mexikaner mit 2 246 Stunden). Berücksichtigt man Urlaubsund Feiertage, so kommt der Durchschnittsdeutsche auf eine Arbeitswoche von 26,3 Stunden.

Doch diese Jahresarbeitszahlen allein sind nicht aussagekräftig: Denn zu Berechnung werden alle Arbeitsstunden eines Landes durch die Anzahl der Beschäftigten geteilt; also werden auch alle Teilzeitarbeitenden und geringfügig Beschäftigen mitgezählt, das sind in der Bundesrepublik etwa 22 Prozent im Vergleich zu Schweden mit 14 Prozent (OECD 2010). Wie lässt sich erklären, dass vor dem Hintergrund dieser OECD-Zahlen sich immer mehr Menschen gestresst fühlen und unter Burn-out leiden?

Die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) stellt in ihrem »GDAArbeitsprogramm Psyche« fest, dass 84 Prozent der Beschäftigten auch außerhalb der Arbeitszeit für den Arbeitgeber erreichbar sind. Immerhin 30 Prozent werden mehrfach im Monat bei familiären Aktivitäten gestört. Prof. Dr. Stephan Voswinkel, Gastprofessor für kritische Gesellschaftstheorie an der Goethe-Universität und Wissenschaftler am Institut für Sozialforschung, beobachtet seit Jahren, wie Arbeitssoll und Tempo zugenommen haben und die Arbeitszeit in die Freizeit hineinragt.

»Wir haben in unseren Studien festgestellt, dass es Beschäftigten immer schwerer fällt, eine Grenze zwischen Arbeit und privater Zeit zu ziehen«, so Voswinkel. »Über die Rahmendaten, wie personelle Ausstattung, enge Projektsteuerung, nicht eingeplante Urlaubs- und Krankheitstage, findet eine indirekte Steuerung statt, der sich der Einzelne nicht entziehen kann«, erläutert der Frankfurter Sozialwissenschaftler.

Da muss der Chef gar nicht viel sagen, es sind ja die vermeintlich äußeren Zwänge, die den Einsatz über die festgelegte Arbeitszeit hinaus erfordern und zur »entgrenzten Arbeit« führen. Wer kennt diese Klagen nicht: »Ich komme gar nicht zu meiner eigentlichen Arbeit, es geht so viel Zeit mit Organisation, Mails und Teamsitzungen verloren.« Genau da müsste für Voswinkel ein Umdenken beginnen:

»Diese quasi unsichtbare Arbeit muss einkalkuliert werden – auch in die Angebote von Unternehmen, die sich um Aufträge bewerben. Was meist nicht geschieht, um im Wettbewerb bestehen zu können «, sagt der Wissenschaftler. Dadurch, dass Großunternehmen Aufgaben outsourcen und die an den günstigsten Anbieter vergeben, wächst in diesen spezialisierten kleineren Betrieben oder bei den Selbstständigen der Druck.

Keine starren Bürozeiten, weniger Anwesenheitspflicht, mehr teamübergreifende Projekte, verschiedenste Teilzeit-Modelle, die Arbeit und Kinderbetreuung ermöglichen: Flexible Arbeit wird für immer mehr Firmen zum Top-Thema. »Das stellt auch erhöhte Anforderungen an die Arbeit im Team und natürlich auch an die Teamleiter «, so der Sozialwissenschaftler.

»Dazu gehört eine Kommunikations- und Diskussionskultur, die nach Ausgleich legitimer Ansprüche sucht.« Arbeitszeitverdichtung und Zeitdruck erleben auch viele Arbeitnehmer in weniger qualifizierten Jobs – wie im Logistik-Bereich. Dazu Voswinkel: »Hier wird genau aufgezeichnet, wer welches Produkt in welcher Zeit an einen entsprechenden Ort weiterbefördert.« Diese elektronische Überwachung erzeugt bei vielen Beschäftigen einen Dauerstress.

Warum nicht Arbeitszeitmodelle an Lebensphasen orientieren?

Eine weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit spielt in der öffentlichen Diskussion keine große Rolle mehr. Auch die Gewerkschaften beschäftigen sich inzwischen eher mit Fragen der Arbeitszeitgestaltung. Eine durchaus nachvollziehbare Strategie, findet Prof. Dr. Martin Allespach, Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in der Goethe-Universität, denn man müsse sich mit den Arbeitszeitrealitäten auseinandersetzen:

© Priteg-Nachrichten, 1. Jg. 1922, H.3; S.65

»Was nützt denn eine weitere Verkürzung der Wochenarbeitszeit angesichts gigantischer Mehrarbeit, die geleistet wird, und angesichts der zum Teil erzwungenen Teilzeitarbeit und einseitiger, von den Arbeitgebern erzwungener Flexibilisierungsansprüche «, so Allespach.

»Die Tarifpolitik muss einen Rahmen setzen, damit die Interessen der Betriebe und der Beschäftigten gleichermaßen Berücksichtigung finden«, ergänzt der Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit Allespach. Er plädiert dafür, stärker über Arbeitszeitmodelle nachzudenken, die sich an den Lebensphasen der Beschäftigten orientieren, so dass u. a. Familienzeiten, Pflegephasen für ältere Angehörige, aber auch das jeweilige Alter berücksichtigt werden.

»Flexible Arbeitszeiten werden von den Beschäftigten durchaus akzeptiert, wenn sie auch ihre Zeitinteressen berücksichtigt sehen und das zu mehr Zeitsouveränität führt«, sagt Allespach. »Kapazitätsorientierte variable Arbeitszeiten«, wie »Arbeit auf Abruf« im Fachjargon heißt, sind Extrembeispiele für Arbeitszeitmodelle, die sich vornehmlich an betrieblichen Interessen orientieren – insbesondere in der Gastronomie und im Einzelhandel.

Nach Auswertungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) arbeiten 1,5 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Teilzeitvertrag, in dem nur eine Mindestzahl an Arbeitsstunden zugesichert ist. Dazu der Arbeitsrechtler Kempen: »Eine abschließende juristische Klärung dieser Verträge steht noch aus, ist aber zu erwarten.« In Österreich haben Gerichte und Gesetzgeber diese »Arbeit-auf-Abruf«-Praktiken inzwischen gestoppt. In Deutschland gibt es bisher nur klare Bestimmungen für Arbeitsverträge mit Rufbereitschaft.

»Soweit es um ›Rufbereitschaft‹ geht, bei der ein Arbeitnehmer sich an einem von ihm selbst bestimmten Ort außerhalb des Betriebs aufhält, um auf Zuruf die Arbeit aufzunehmen, muss diese Verfügungsbereitschaft vergütet werden, obwohl es sich nicht um eine Arbeitsleistung handelt«, erläutert Kempen.

Extrem prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse beobachten Arbeitssoziologen in Großbritannien, dort etablieren sich zunehmend zero-hours contracts (Null-Stunden-Verträge). Dabei vereinbaren die Parteien, dass die Arbeitnehmer ihre Dienste für die Arbeitgeber erbringen und dafür eine Vergütung erhalten – die »Mindestbeschäftigungszeit « wird allerdings auf null Stunden festgelegt.

Industrie 4.0. – Wie wird die Zukunft der Arbeit aussehen?

In verschiedenen Thinktanks wird zurzeit unter den Schlagworten »Industrie 4.0« und »Digitalisierung « über die Auswirkungen der »vierten industriellen Revolution« nachgedacht. Die Arbeitswelt werde sich durch die Möglichkeiten der Digitalisierung in den nächsten Jahrzehnten gravierend verändern, so Dr. Christa Larsen, Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität.

Durch die Vernetzung fungiert der Betrieb immer weniger als tatsächlicher Arbeitsort, diese räumliche Entgrenzung macht ganz andere Arbeitszeitmodelle möglich. Daten sind durch das Internet zu jeder Zeit an jedem Ort verfügbar – das wird den Produktionsprozess von Gütern grundlegend verändern und vermutlich Arbeitsplätze kosten:

Eine weltweit viel beachtete Studie der beiden Amerikaner Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne aus dem Jahr 2013 unterstellt, dass rund 47 Prozent der Jobs in den USA in den nächsten 10 bis 20 Jahren durch Maschinen, Roboter und Computerprogramme ersetzt werden; auf Deutschland umgerechnet sollen es 42 Prozent sein.

»Die Studie von Frey und Osborne ist in der Fachwelt nicht unumstritten«, so Prof. Birgit Blättel- Mink, Industriesoziologin an der Goethe-Universität. »Eine Gegenthese ist: Menschliche Arbeitskraft wird nicht in diesem Umfang ersetzt werden, aber die durch die Digitalisierung initiierten Transformationsprozesse werden es mit sich bringen, dass sich Arbeitsformen verändern werden – z. B. mobile Arbeitsplätze –, die Kontrolle am Arbeitsplatz umfassender wird und sich auch die Arbeitsverhältnisse und damit auch die Anforderungen an die sozialen Sicherungssysteme gravierend verändern werden.«

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Auf den Punkt gebracht

  • Erst Mitte der 1960er Jahre wurde aus der Sechs-Tage-Woche eine Fünf- Tage-Woche mit Acht-Stunden-Tag. Die 35-Stunden-Woche konnten die Gewerkschaften in den 1990er Jahren nur in der Druck-, Metall- und Elektroindustrie durchsetzen.
  • Seit etwa zehn Jahren verändern sich die Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen rapide. Flexible Arbeit wird zum Top- Thema. Dazu gehören variable Teilzeitmodelle, keine festen Bürozeiten, Homeoffice, teamübergreifende Projekte an verschieden Orten.
  • Gleichzeitig haben Arbeitssoll und Tempo zugenommen. Die Grenze zwischen Arbeit und privater Zeit ist oft schwer zu ziehen; die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit wird zum brisanten Thema.
  • »Arbeit auf Abruf«: Etwa 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, insbesondere in der Gastronomie und im Einzelhandel, haben einen Arbeitsvertrag, in dem nur eine Mindestzahl an Arbeitsstunden zugesichert wird. Darüber hinaus sollen sie sich bereithalten.
  •  Arbeitsformen und Arbeitszeiten werden sich in den nächsten Jahren durch fortschreitende Digitalisierung und »Industrie 4.0« gravierend verändern.
  • Die Zahl der »Solo-Selbstständigen« wird im Zuge der Plattform-Ökonomie deutlich steigen. Diese Form der Selbstständigkeit birgt die Gefahr von extrem hoher Arbeitsbelastung und von nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen.

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»Crowd-Working in einer dezentralen Plattform- Ökonomie« ist der neue Trend, wie Christa Larsen vom IWAK erläutert: »Mit fortschreitender vernetzter Digitalisierung offerieren kleinere Unternehmen oder auch Einzelanbieter ihre Dienstleistung über professionell organisierte Internet-Portale.

So können Arbeitsmodule auch von mittleren und kleineren Betrieben kurzfristig dazugekauft werden.« Und Larsen nennt ein Beispiel: »Ein Zimmererbetrieb will sich für das Angebot eines Dachstuhls umfassende Informationen einholen und engagiert einen Experten, der durch den Einsatz einer Drohne die Verhältnisse genauer unter die Lupe nehmen kann.«

Von einfachen Dienstleistungen bis zu hochwertigen Beratungstätigkeiten und Arbeitsmodulen von absoluten Spezialisten reichen die Möglichkeiten der Plattform-Ökonomie. Oft vernetzen sich Teams von Freiberuflern insbesondere in der Beratungsbranche und der Kreativwirtschaft über diese Plattformen, machen ein gemeinsames Angebot für ein spezielles Programm und stellen sich dem Wettbewerb.

Das Beschäftigungsrisiko, das der Arbeitgeber vor dem Outsourcen zu Teilen getragen hat, verlagert sich so auf den selbstständigen Arbeitnehmer – oft mit erheblichen Folgen, dazu die Soziologin Christa Larsen: »Die sogenannten ›Solo-Selbständigen‹ versuchen, in der Plattform-Ökonomie zu reüssieren. Das geht nicht selten auf Kosten einer extrem hohen Arbeitszeit und von ihnen nicht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge.«

Auswege mit der Postwachstums-Ökonomie und einer »Kultur des Weniger«?

Innerhalb von 50 Jahren – von 1950 bis 2000 – ist das Arbeitszeitvolumen in der Bundesrepublik um etwa ein Drittel zurückgegangen, gleichzeitig hat sich das Bruttosozialprodukt in dieser Zeit verfünffacht. Brauchen wir wirklich immer mehr Wachstum, um ein gutes, auch ökologisch vertretbares Leben zu führen? Die Industriesoziologin Birgit Blättel-Mink berichtet von Postwachstums-Diskursen, die seit Beginn dieses Jahrzehnts von dem Ökonomen Nico Paech (Universität Oldenburg) und dem Soziologen Hartmut Rosa (Universität Jena) angestoßen wurden.

Ihnen geht es darum, auszuloten, wie eine Ökonomie jenseits permanenten Wachstums aussehen könne: Die beiden Wissenschaftler plädieren für eine »Kultur des Weniger«, »der Selbstbefreiung von materiellem Überfluss «. Die modernen Gesellschaften seien durch Wachstum, Beschleunigung und Verdichtung gekennzeichnet, so Rosa, das gehe auf Kosten der Selbstbestimmung, aber auch der Beziehungen. Ob diese Überlegungen mehrheitsfähig sind und Einfluss auf die Arbeitszeit und -bedingungen in Zeiten von Arbeit 4.0 und fortschreitender Digitalisierung haben werden? Das bleibt abzuwarten.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.2017 des Wissenschaftsmagazins Forschung Frankfurt erschienen.

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