Menschen schreiben an den unterschiedlichsten Orten: Ganz klassisch am heimischen Schreibtisch, in Bibliotheken, in einem Londoner Pub, im Gartencenter oder sogar in einer gemütlichen Hängematte im Wald. Diese Schlussfolgerung zumindest lässt sich aus der Erstauflage des Fotowettbewerbs #schreiborte ziehen, den das Schreibzentrum 2016 ausgerichtet hat. Nach den positiven Erfahrungen aus dem Vorjahr gehen die #schreiborte in diesem Jahr in die zweite Runde.
Erneut sind alle Studierenden und Angehörigen der Goethe-Universität eingeladen, ihre liebsten Schreiborte fotografisch festzuhalten. Im letzten Jahr nutzten viele Teilnehmende das Thema des Fotowettbewerbs auch als Schreibanlass und reichten neben dem Bild auch einen Text ein, in dem sie ihren Schreibort näher beschreiben. Die folgenden Auszüge vermitteln einen Eindruck von der Kreativität der Beiträge.
Mit dem Hogwards-Express ins Schreibglück.Lea M. fühlt sich beim Schreiben in einem heruntergekommenen Zugabteil so wohl wie selten.
„Um vier Uhr sind wir in den Nachtzug nach Hanoi gestiegen, der Vierte auf unserer Südostasien-Reise. Im Abteil neben mir wird getrunken und ab und zu höre ich Engländerinnen irgendetwas kreischen. Ich sehe lieber aus dem Fenster und beobachte die vorbeiziehenden Wälder und die Reisfelder, auf denen Frauen mit typischen asiatischen Hüten arbeiten, und wie sich dabei der wolkige Himmel langsam verdunkelt.
Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde ich im Hogwards-Express sitzen. Alles ist ein wenig in die Jahre gekommen, dunkles schäbiges Holz, braune Blümchen-Gardinen aus den Siebzigern und an der Wand krabbelt hin und wieder eine Kakerlake entlang. Dazu ruckelt es wie verrückt, aber ich möchte trotzdem schreiben, denn ich war wahrscheinlich selten so glücklich wie in diesem Moment. Seit drei Tagen habe ich nicht geduscht, weil es bei der Gastfamilie kein fließendes Wasser und auch keinen Strom gab.
[dt_call_to_action content_size=”small” background=”fancy” line=”false” animation=”fadeIn”]
Schreibzentrum der Goethe-Universität
Das Schreibzentrum ist Anlaufstelle für alle Fragen rund um die Themen Schreiben und die Vermittlung von Lese- und Schreibkompetenzen. Ziel der Einrichtung ist es einerseits, Studierende beim Erlernen des akademischen Schreibens und Denkens zu unterstützen, und andererseits, Lehrenden Materialien und Methoden zur Verfügung zu stellen, die sie in ihrer eigenen Lehre nutzen können.
Das Schreibzentrum bietet pro Jahr ca. 50 fachübergreifende Workshops und Tutorien zum Schreiben an. Zusätzlich erhalten Studierende in individuellen Schreibberatungen Feedback auf ihre Textprojekte von den derzeit etwa 20 speziell dafür ausgebildeten Peer Tutor/-innen. Das Angebot hat sich herumgesprochen – das Schreibzentrum versorgt zahlreiche Studierende und Lehrende aus den Geistes-, Sozial und Naturwissenschaften.
Für Fachlehrende gibt es darüber hinaus auch die Möglichkeit, von erfahrenen Schreibtutor/-innen, sog. Writing Fellows ein Semester zur Seite gestellt zu bekommen. Diese arbeiten aus überfachlicher, studentischer und schreibdidaktischer Perspektive eng mit Lehrenden und Studierenden zusammen und unterstützen so das Schreiben im jeweiligen Fach. http://schreibzentrum.uni-frankfurt.de/
[/dt_call_to_action]
Den Pulli trage ich auch seit einer Woche ununterbrochen, weil er das einzige warme Kleidungsstück ist, das der Backpack hergibt. Vermutlich stinke ich mittlerweile ein wenig. Geschminkt habe ich mich schon lange nicht mehr und mein Handy ist sowieso tot. Und vielleicht gerade aus diesen Gründen habe ich endlich das Gefühl, bei mir selbst angekommen zu sein.
Draußen fängt es jetzt an zu gewittern, kühle Luft dringt durch das Fenster herein, der Zug quietscht, als er in eine Kurve fährt, und der Regen hämmert gegen die Scheibe. Das Geräusch übertönt die schreckliche Musik von nebenan. Victoria sitzt mir gegenüber. Sie sieht von ihrem Buch auf und lächelt mich an. Ich weiß, was sie denkt, und bin unbeschreiblich dankbar, dass sie es ist, mit der ich diesen Moment, hier am anderen Ende der Welt, schweigend teile.Ich schreibe in mein Notizbuch: Das Leben kann so schön sein, dass es gar nicht perfekt sein muss.“
Stephanie J. mag’s lieber klassisch. Für sie ist der Büroschreibtisch Schreibort der Wahl.
„Mein liebster Schreibort ist, das mag seltsam klingen, mein Büroschreibtisch. Ich arbeite in einem Großraumbüro zusammen mit kleinsten und kleineren Unternehmen, die sich eine Fabriketage teilen. Die Atmosphäre ist für mich anregend, weil ich hier Gewohntes mit einer Prise Anonymität finde. Oft sind Praktikant/-innen, Volontär/-innen oder freie Mitarbeiter/-innen da, die zu viel Heimeligkeit pulverisieren.
Bibliotheken mag ich aus diesem Grund auch gerne, aber im eigenen Büro kann ich telefonieren, wenn es nötig ist, oder mir den dritten, vierten oder fünften Kaffee auf den Tisch stellen. Ach so, ich arbeite als Texterin, Autorin, Lektorin. Das Foto habe ich absichtlich überbelichtet, denn die Büroluft scheint mir luzid und klar und ein guter Stimulus für meine Gedanken. Dass ab und zu ungefragt Gäste vorbeischauen, stört mich übrigens nicht im Geringsten …“, womit die Teilnehmerin auf den Hund anspielt, der keck seine Nase in die Bildmitte streckt.
Mit dem Erstdurchlauf des Fotowettbewerbs betrat das Schreibzentrum Neuland. „Als wir die Idee im letzten Jahr zum ersten Mal umgesetzt haben, wussten wir noch nicht, welche Resonanz wir bekommen würden”, berichtet Dr. Stephanie Dreyfürst, Leiterin des Schreibzentrums. „Wir verstanden 2016 als Testlauf und freuen uns über die positiven Rückmeldungen.” Dabei wurde der Fotowettbewerb nicht nur von Teilnehmenden, sondern auch von der schreibdidaktischen Fachgemeinschaft interessiert aufgenommen.
„Schon kurz nach dem Ende des Wettbewerbs im Mai 2016 traten die Organisatoren der jährlichen Schreib-Peer-Tutor/-innen-Konferenz an uns heran und boten uns die Möglichkeit, die Bilder im Rahmen der Konferenz auszustellen“, erzählt Dr. Daniel Spielmann, der die Idee zu #schreiborte hatte. „Natürlich wollten wir uns die Gelegenheit, die Einsendungen einem größeren Publikum vorzustellen, nicht entgehen lassen.
Daher ließen wir die Fotografien großformatig drucken und nahmen sie mit zur Konferenz.“ Auch 2017 wird die Ausstellung zu sehen sein – das Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder zeigt sie anlässlich seines 10-jährigen Jubiläums. „Um an den Erfolg des letzten Jahres anknüpfen zu können, wird diesmal alles noch größer, schöner, besser“, verrät Dr. Dreyfürst.
Teilnehmende haben bis zum 1. September Zeit, ihre Beiträge unter teilnahme@schreiborte.info einzureichen. „So haben alle Gelegenheit, auch die Sommermonate kreativ zu nutzen“, so Dreyfürst weiter. Außerdem werden die Einsendungen schon während der Einreichungsfrist auf der Webseite schreiborte.info und über die Social Media- Accounts des Schreibzentrums gezeigt. Durch Teilen und Kommentieren der Beiträge kann sich jede/r aktiv beteiligen.
[Autor: Florian Durst]
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.