Vor 50 Jahren: Anschlag auf das IG-Farben-Haus

Foto: Bombenanschlag auf den „Terrace Club“ (Offizierskasino) des V. US-Korps, 1972.

Am 11. Mai 1972 explodierten drei von der RAF selbstgebaute Bomben im IG-Farben-Haus und dem dahinterliegenden US-Offizierskasino, dem sogenannten „Terrace Club“. Der Gebäudekomplex beheimatete 1972 das Hauptquartier des V. Korps der US-Armee, war Sitz des United States European Command und stellte gleichzeitig auch das Hauptquartier der Central Intelligence Agency (CIA) in der Bundesrepublik Deutschland dar. In einem Bekennerbrief erklärte sich das RAF-Kommando „Petra Schelm“ für den Anschlag verantwortlich. Oberstleutnant Paul A. Bloomquist wurde durch Glassplitter getötet, 13 weitere Personen wurden verletzt, die Gebäude wurden stark beschädigt. „Der Anschlag markiert den Beginn der sogenannten ‚Mai-Offensive‘ der RAF, fünf weitere Sprengstoffanschläge in Augsburg, München, Hamburg, Karlsruhe und Heidelberg sollten folgen“, erläutert der Historiker Robert Wolff. Er forscht seit mehreren Jahren zum sogenannten „bundesdeutschen Linksterrorismus“.

Der Promovend am Historischen Seminar der Goethe-Universität beschäftigt sich speziell mit den Revolutionären Zellen, die sich auch als Reaktion auf die „Mai-Offensive“ der RAF gründeten, allerdings in ihren Aktivitäten in der Regel längst nicht so brutal wie die RAF agierten.

Die RAF steht nicht für die ganze Linke in Frankfurt. Denn man haderte in den sehr heterogenen und zum Teil verfeindeten linken Gruppen und Netzwerken mit dem brutalen Vorgehen der RAF, speziell mit den Banküberfällen und Polizistenmorden.

Robert Wolff

Ein Teil der Radikalisierungsgeschichte und ein Großteil der Vorbereitungshandlungen für die „Mai-Offensive“ der RAF, führt Wolff aus, habe sich in Frankfurt abgespielt: Hier fanden die vorher zunächst in Westberlin, dann auch in Stuttgart, Heidelberg, München und Hamburg agierenden Mitglieder um Andreas Baader und Gudrun Ensslin gute Voraussetzungen: ein linksradikales Milieu, an das man ‚andocken‘ konnte, aber auch eine gute Infrastruktur mit zahlreichen Autobahnen, was sich im Falle von Fluchtversuchen als günstig erweisen sollte. „Man muss aber auch ganz klar sagen: Die RAF steht nicht für die ganze Linke in Frankfurt. Denn man haderte in den sehr heterogenen und zum Teil verfeindeten linken Gruppen und Netzwerken mit dem brutalen Vorgehen der RAF, speziell mit den Banküberfällen und Polizistenmorden“, so Robert Wolff.

Aus Sicht der Radikalisierungs- und Gewaltforschung stünde nach wie vor die Frage im Raum, wie sich ein Teil der Linken so schnell radikalisieren und hocheskalative Gewalthandlungen als angemessene Handlungsoptionen durchsetzen konnten. Quellengestützte Forschungen zur Radikalisierungsgeschichte vieler RAF-Mitglieder, u.a. von Andreas Baader, Holger Meins, Margrit Schiller, Astrid Proll und vielen weiteren wichtigen Führungsfiguren der RAF, fehlen noch.

Aber auch die Vorgeschichte der „Mai-Offensive“ hat durchaus mit Frankfurt zu tun: 1968 gab es Brandanschläge gegen zwei Kaufhäuser auf der Zeil, an denen Andreas Baader und Gudrun Ensslin beteiligt waren. Nach dem Konzept der Stadtguerilla wurde in den Jahren danach Geld beschafft, Wohnungen angemietet und Sprengstoff besorgt. „Die Mai-Offensive stellt gewissermaßen das Ende dieser Logistik-Phase dar: Hier kommt es zum ersten politisch motivierten Sprengstoffanschlag. In dieser Zeit bombardierte die US-amerikanische Armee zum ersten Mal flächendeckend Nordvietnam, die Wut der RAF gegen das militärische Vorgehen der Amerikaner war groß“, erläutert Robert Wolff. Aus heutiger Sicht sei es unvorstellbar, dass das Gelände um das IG-Farben-Haus damals frei zugänglich und nahezu ohne Sicherheitskontrollen von allen Seiten gut erreichbar gewesen sei. Wer aber für den Anschlag letztendlich personell genau verantwortlich war, konnte nie ermittelt werden. „Es gab einige Augenzeugen, die die RAF-Mitglieder Andreas Baader und Klaus Jünschke gesehen haben wollen. Aber selbst im Stammheim-Prozess konnte dies nicht aufgeklärt werden.“

Der Auftakt der ‚Mai-Offensive‘ ist aber ein ebenso wichtiges Kapitel innerhalb der Geschichte des sogenannten deutschen Linksterrorismus und sollte an den Orten der Anschläge sichtbarer gemacht werden.

Robert Wolff

Die Wirkung dieses Anschlags, den niemand vorhergesehen hatte, war gewaltig: Die US-amerikanischen Militärbehörden übernahmen die Ermittlungsarbeit, handelte es sich doch um deren Hoheitsgebiet. „Aber auch für die deutschen Behörden kam dieser Anschlag wie aus dem Nichts. Mit Straßensperren, bewaffneten Polizisten und einer Großfahndung Ende Mai namens ‚Aktion Wasserschlag‘ reagierte der Staat. Wie hoch das Gefühl der Bedrohung bei der Bevölkerung damals wirklich war, lässt sich aus heutiger Sicht kaum rekonstruieren“, sagt Robert Wolff. Die „Mai-Offensive“ kam schnell an ihr Ende: Am 1. Juni 1972 wurden die RAF-Mitglieder Baader, Meins und Raspe nach einem stundenlangen Polizeieinsatz mit Schusswechsel in einer Garage im Frankfurter Stadtteil Dornbusch verhaftet, Ensslin wurde einige Tage später in Hamburg gefasst. Bis Mitte Juli waren die wichtigsten RAF-Mitglieder von den Ermittlungsbehörden festgenommen worden.

Der Anschlag vom 11. Mai 1972 auf das IG-Farben-Haus war nicht der letzte: Es sollten noch drei weitere in den Jahren 1976 und 1982 geben. Wolff vermisst, dass der erste Anschlag, der immerhin ein Menschenleben und zahlreiche Verletzte forderte, nicht stärker im historischen Bewusstsein verankert ist. „Über den ‚Deutschen Herbst‘ des Jahres 1977 ist sehr viel geschrieben und publiziert worden. Der Auftakt der ‚Mai-Offensive‘ ist aber ein ebenso wichtiges Kapitel innerhalb der Geschichte des sogenannten deutschen Linksterrorismus und sollte an den Orten der Anschläge sichtbarer gemacht werden“, betont Robert Wolff.  

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