Aktionsplan für Gleichstellung behinderter und nichtbehinderter Uni-Angehöriger

Vor rund 200 Jahren hat Goethe eigentlich schon alles gesagt: „Es ist nicht genug zu wissen – man muss auch anwenden. Es ist nicht genug zu wollen – man muss auch tun“, heißt es in seinem Roman „Wilhelm Meisters Wanderjahre“. Das hatte auch der „Arbeitskreis Inklusion“ festgestellt, zu dem sich vor Jahren an der Goethe-Universität Studierende, Mitarbeitende verschiedener Institutionen sowie Professorinnen und Professoren zusammengetan haben. Denn die 2006 verabschiedete, 2008 in Kraft getretene „UN-Behindertenrechtskonvention“ sichert Menschen mit Behinderungen das umfassende Recht zu, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – auch an der Goethe-Universität besteht dieses Recht allerdings vielfach nur auf dem Papier. Noch.

„Dem Arbeitskreis fiel vor einigen Jahren auf, dass es an unserer Hochschule zwar eine Menge Angebote und Projekte gab, um die Probleme behinderter Menschen im Uni-Alltag zu beseitigen“, berichtet Christoph Trüper, inzwischen Referent für Inklusion in der Personalabteilung der Goethe-Universität, „es fehlte aber an einem systematischen, zugkräftigen Vorgehen, mit dem sich viel mehr erreichen lässt.“ Daraufhin regte das Gleichstellungsbüro an, dass die Goethe-Universität dem Beispiel von rund zehn Prozent der deutschen Hochschulen folgen und sich einen „Aktionsplan Inklusion“ geben solle. In dieser To-do-Liste wären die konkreten Schritte aufgelistet, die auf dem Weg zur tatsächlichen Gleichstellung von behinderten und nichtbehinderten Uni-Angehörigen zu gehen sind.

Die Goethe-Universität ist der Anregung des Gleichstellungsbüros gefolgt: Über drei Jahre hinweg haben sich (koordiniert von Christoph Trüper) rund 50 Mitwirkende aus allen Statusgruppen zu verschiedenen Workshops getroffen, den „Aktionsplan Inklusion“ entwickelt und ihm das eingangs erwähnte „Wilhelm-Meister“-Zitat vorangestellt. Inzwischen ist der Aktionsplan Inklusion fertig, von den Gremien der Universität, also insbesondere von Senat, Präsidium und Hochschulrat, verabschiedet und veröffentlicht – damit ist die Universität eine Selbstverpflichtung eingegangen, an deren Einhaltung sie sich jetzt messen lassen muss.

Vier zentrale Felder

Vera Moser, Professorin für inklusive Pädagogik, lobt: „Die Goethe-Universität beweist hier, dass sie die UN-Behindertenrechtskonvention nicht nur als ein Lippenbekenntnis betrachtet.“ Inklusion gelte hier nicht nur als Fall für die Pädagogik-Forschung, in der es darum gehe, die Konvention theoretisch in den schulischen Alltag zu übersetzen. „Stattdessen fasst sich die Universität an die eigene Nase und überlegt, wie sie ganz praktisch ihren Studierenden und Beschäftigen mit Behinderungen begegnet“, stellt Moser klar und zählt auf: „Der Aktionsplan nennt dementsprechend vier ganz zentrale Felder, auf denen in Sachen Inklusion was passieren muss: Wie müssen Studierende beraten werden, wie lässt sich die Lehre an der Universität barrierefrei gestalten, wie müssen die Beschäftigten unterstützt werden und wie lässt sich bauliche Barrierefreiheit organisieren?“

Auch Kirsten Brandenburg, die sich bei der zentralen Studienberatung der Goethe-Universität um beeinträchtigte Studierende kümmert, erwartet, dass diese infolge des Aktionsplans Inklusion insbesondere von einer besseren Beratungspraxis profitieren: „Ganz wichtig ist, dass die Öffentlichkeits- und Informationsarbeit verbessert wird. Dazu gehört zum einen, dass sich die verschiedenen Stellen, die Beratung für behinderte Studierende anbieten, untereinander vernetzen.“

Als Konsequenz aus dem Aktionsplan Inklusion würden die verschiedenen Beratungs- und Unterstützungsangebote gebündelt und koordiniert; damit würden sie sowohl für Studierende als auch für Lehrende transparenter und besser zugänglich, sagt Brandenburg. „Zum anderen ist es wichtig, dass die Beratung in geeigneter Form angeboten wird“, fügt sie hinzu, „sei es in Online-Formaten oder in Selbsthilfegruppen, und zwar über den gesamten Studienzyklus hinweg: von der Immatrikulation oder sogar vom Ende der Schullaufbahn bis zur Abschlussprüfung.“

Brandenburg hofft, dass es durch die in dem Aktionsplan initiierten Maßnahmen für beeinträchtigte Studierende immer selbstverständlicher wird, Beratung zu suchen und auch die gesetzlich vorgesehenen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Bislang stelle sie in der Beratung immer wieder fest, dass betroffene Studierende erst spät im Studium Hilfe suchten, obwohl diese ihr gutes Recht sei: „Niemand sollte sich schämen, weil er oder sie Unterstützung braucht“, sagt Brandenburg, „hier kommt es hoffentlich zu einem Kulturwandel, der auch den gesundheitlich eingeschränkten Studierenden ein selbstbestimmtes Studium ermöglicht.“

Beteiligung der Studierenden

Notwendig für diesen Kulturwandel ist, dass die in dem Aktionsplan formulierten Schritte tatsächlich gegangen werden – darauf hoffen insbesondere die an der Entwicklung beteiligten Studierenden: „Im Aktionsplan ist angedacht, dass eine bestimmte Quote von gesundheitlich beeinträchtigten Studierenden als wissenschaftliche Mitarbeiter eingestellt wird. Das wäre für uns ein echter Meilenstein“, sagt Rosa Nero vom Autonomen Inklusionsreferat des AStA. Ebenso wichtig sei es, dass chronisch kranke Studierende sich an einem langen Arbeitsalltag in einer angemessen Anzahl von Rückzugsräumen mit Lüftungsmöglichkeit ausruhen könnten: „Fensterlose Sanitätsräume im Untergeschoss reichen da nicht aus“, betont Nero und nennt zwei weitere wichtige Punkte, die bei der Erarbeitung des Aktionsplans zur Sprache gekommen seien: den barrierefreien Zugang zum IG-Farben-Gebäude auf dem Campus Westend und professionell geleitete Gesprächsgruppen für Studierende mit psychischen Beeinträchtigungen

Ein wesentlicher Bestandteil des Aktionsplans ist gleich auf dem Titelblatt zu lesen: die konkrete Frist von drei Jahren. Danach soll der Plan evaluiert und anschließend fortgeschrieben werden. Vera Moser, Professorin für inklusive Pädagogik, freut sich darüber: „Mir sind schon Aktionspläne begegnet, die bis zu zehn Jahre lang gelten sollten – da werden also ganz unterschiedliche Zeiträume angesetzt.“ Sie selbst empfehle, solche Fristen nicht zu lang anzusetzen, damit man nötigenfalls umsteuern könne. An der Goethe-Universität sei das mit der Drei-Jahres-Frist problemlos möglich, „Allerdings habe ich hier sehr viele motivierte und kompetente Personen getroffen, und bin deshalb überzeugt, dass die Verwirklichung des Inklusionsgedankens bis dahin ein gutes Stück vorangekommen ist.“

Stefanie Hense

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 6.20 (PDF) des UniReport erschienen.

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