Wissenschaftsrat empfiehlt Ausbau der Friedensforschung

Hessen ist ein starker Standort der Friedens- und Konfliktforschung. Dies bestätigt jetzt ein Gutachten des Wissenschaftsrats. Die Konferenz der hessischen Hochschulpräsidien begrüßt die Ergebnisse – und die Empfehlung, in bestimmten Forschungsbereichen noch einen Ausbau anzustreben.

In den Anfangsjahren war die Friedens- und Konfliktforschung alles andere als ein anerkanntes Forschungsfeld, stand sie bei vielen Entscheidern doch unter einem gewissen Ideologievorbehalt. Doch das ist längst vorbei. Auf Wunsch des Deutschen Bundestages hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Wissenschaftsrat Ende 2016 darum gebeten, das Forschungsfeld gründlich zu evaluieren – und zwar unter Berücksichtigung von sowohl universitärer als auch außeruniversitärer Forschung. Heraus kam ein 178 Seiten starker Text, der die Situation genau beschreibt und bewertet.

„Überzeugende Leistungen“ erbringe die deutsche Friedens- und Konfliktforschung, heißt es im Gutachten des Wissenschaftsrates. In Hessen sei das Forschungsfeld – neben Hamburg und Berlin – besonders gut ausgebaut und mit der Verankerung an vier Universitäten und dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) breit aufgestellt. Dennoch gibt es noch Optimierungsmöglichkeiten.

„Die Hessischen Universitäten haben eine hoch anerkannte Expertise in der Friedens- und Konfliktforschung aufgebaut“, sagt Prof. Birgitta Wolff, Sprecherin der Konferenz Hessischer Hochschulpräsidien und Präsidentin der Goethe-Universität. Durch die Verzahnung der verschiedenen Studiengänge untereinander und die enge Kooperation mit der HSFK entstünden große disziplinenübergreifende Synergieeffekte. Nachbesserungsbedarf konstatiert das Gutachten vor allem im Bereich der naturwissenschaftlich-technischen Friedens- und Konfliktforschung. In Darmstadt gibt es eine Professur im Fachbereich Informatik, die sich mit dem Themenkreis Krieg und Frieden befasst. Das sei noch ausbaufähig, finden die Gutachter. „Hessen ist nun gefordert, die bislang einzige Professur, die dieser Thematik gewidmet ist, durch mindestens eine weitere Stelle zu ergänzen“, so Wolff. Hierzu, so Wolff weiter, wolle man in der Region auch das Gespräch mit der HSFK über eine weitere gemeinsame Initiative suchen.

„Die Friedens- und Konfliktforschung leistet in Forschung und Lehre einen unverzichtbaren Beitrag zum Verständnis und zur Bearbeitung großer gesellschaftlicher Herausforderungen. Indem sie Ursachen, Dynamiken und Folgen von Konflikten und Gewalt sowie die Voraussetzungen für deren Beilegung und die Stabilisierung friedlicher Verhältnisse untersucht, befasst sie sich mit essentiellen Fragen inner- und zwischenstaatlichen Zusammenlebens. Sie ist in beispielhafter Weise im Wissenstransfer engagiert und steht vor allem mit der Politik, aber auch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in engem Austausch“, heißt es im Gutachten. Neben der Vernetzung in Deutschland werden auch europäische und internationale Kooperation positiv hervorgehoben, einschließlich derer mit Universitäten in (Post-)Konfliktregionen, wie sie vom Zentrum für Konfliktforschung in Marburg betrieben werden.

Den Universitäten in Frankfurt, Darmstadt, Marburg und Gießen bescheinigt der Bericht eine „ausgeprägte personale Verdichtung“. Der Wissenschaftsrat unterstütze die Bestrebungen nachdrücklich, die Zusammenarbeit der entsprechenden universitären und außeruniversitären Einrichtungen vor Ort bzw. in der Region weiter zu intensivieren und institutionell zu festigen. Aktuell ist dies für die Universitäten Marburg und Gießen durch den SFB „Dynamiken der Sicherheit“ und die Arbeitsgruppe „Migration und Menschenrecht“ gegeben. Dass die Goethe-Universität, die TU Darmstadt und die HSFK ein Konzept erarbeiten, das die Fortführung ihrer langjährigen Forschungskooperation über das Auslaufen des Exzellenzclusters „Normative Ordnungen“ hinaus zum Ziel hat, begrüße man besonders. Ein Baustein hierbei ist ein geplanter Leibniz-WissenschaftsCampus zu Transformationen politischer Gewalt, den HSFK, die Goethe-Universität und Justus-LiebigUniversität (JLU) jüngst beantragt haben. Ziel des Vorhabens wird es sein, Wandlungsprozesse politischer Gewalt zu erforschen, die Gefahren, die sich für das gesellschaftliche und zwischenstaatliche Zusammenleben ergeben, zu analysieren und Ideen zu entwickeln, wie politische Gewalt auch unter den veränderten technologischen und politischen Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts langfristig eingehegt werden kann. Dabei können die hessischen Universitäten auf internationale Erfahrungen zurückgreifen: Die JLU ist Konsortialführerin des Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstituts (Instituto CAPAZ). Das DAAD-geförderte Exzellenzzentrum in Forschung und Lehre soll zur Stabilisierung des Friedensprozesses in Kolumbien beitragen.

„In beeindruckend enger Abstimmung und Koordination“, so heißt es im Gutachten, habe die Friedens- und Konfliktforschung in den vergangenen 20 Jahren spezifische Masterstudiengänge etabliert, die sich gegenseitig ergänzen. Sieben Masterstudiengänge gibt es bundesweit, drei davon in Hessen. Die meisten Studiengänge sind sozialwissenschaftlich geprägt. Beim politikwissenschaftlichen Kooperationsstudiengang „Internationale Studien/Friedens- und Konfliktforschung“ von Goethe-Universität, Technischer Universität (TU) Darmstadt und HSFK zum Beispiel gibt es Wahlpflichtfächer wie Wirtschaftswissenschaften, Jura, Soziologie oder auch Informatik. An der Universität Marburg sind zwei interdisziplinäre Masterstudiengänge beheimatet, die Module im Völkerstrafrecht, der Sozialpsychologie und der Erziehungswissenschaften beinhalten. Gemeinsam mit der Universität Kent (UK) bietet das Marburger Zentrum für Konfliktforschung den einzigen europäischen Studiengang an. In diesen Studiengängen erwerben Studierende „einerseits fundierte Kenntnisse in einer Schwerpunktdisziplin und zugleich ein Verständnis für die erforderliche Multiperspektivität der Fragestellungen und Zugänge“ vermitteln, so der Wissenschaftsrat.

Die Nachfrage nach Studienplätzen ist groß: Auf 45 Plätze in Marburg und 60 Plätze in Frankfurt und Darmstadt etwa kommen bis zu 500 Bewerber. Den Zugang zu begrenzen, hält der Wissenschaftsrat jedoch für eine richtige Maßnahme. Die Absolventen kommen jedenfalls gut unter: Viele gehen in die Entwicklungszusammenarbeit, zu Nicht-Regierungs
Organisationen (NGOs), zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), zu Einrichtungen der Vereinten Nationen oder in den Auswärtigen Dienst. Sogar in Banken sind Friedens- und Konfliktforscher immer wieder als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gern gesehen.

Positiv betont der Wissenschaftsrat zudem die an den deutschen Standorten betriebene Nachwuchsförderung. Im Erhebungszeitraum wurden die Hälfte aller Promotionen an drei Universitäten abgeschlossen, zu denen auch Marburg und Frankfurt zählen. In seinen Empfehlungen weist das Gutachten jedoch auf die bislang fehlenden interdisziplinären Promotionsstudiengänge im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung hin. Dass Marburg und Gießen ein gemeinsames Graduiertenkolleg planen, wird ausdrücklich hervorgehoben und dessen Weiterverfolgung wird angeraten.

In der Konferenz Hessischer Universitätspräsidien (KHU) haben sich die fünf Universitäten des Landes Hessen zusammengeschlossen. Die Präsidien der Technischen Universität Darmstadt, der Goethe-Universität Frankfurt, der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Universität Kassel und der Philipps-Universität Marburg tagen in regelmäßigen Abständen. Die in der KHU organisierten Universitäten nehmen gemeinsam Stellung zu aktuellen Entwicklungen der Hochschulpolitik insbesondere des Landes Hessen, aber auch zu bildungs- und forschungspolitischen Herausforderungen auf nationaler und europäischer Ebene. Das Ziel ist es, die Wettbewerbsfähigkeit der fünf hessischen Universitäten zu sichern und auszubauen.

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