Jürgen Bereiter-Hahn sucht mit Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden nach Lösungen bei Problemen ‚mit der Universität‘. Als Ombudsmann hört der ehemalige Vizepräsident und emeritierte Professor seinem Gegenüber immer ganz genau zu.
Manchmal kommt der entscheidende Hinweis erst ganz am Schluss. Da hat sich Jürgen Bereiter-Hahn, emeritierter Professor für Zellbiologie, schon eine Stunde lang einem/einer Studierenden gewidmet, die sich an ihn gewandt hatten. Hat zugehört, Anteil genommen, sich Lösungen überlegt. Und im Hinausgehen, quasi beiläufig, sagt der/die Ratsuchende: »So, ich muss jetzt los, ich muss zu meiner psychiatrischen Behandlung.
Dann bittet Bereiter-Hahn ihn, doch nochmal eben Platz zu nehmen und von der ärztlichen Therapie zu berichten: »Deswegen ist es so wichtig, dass ich das ganze Gespräch über gut zuhöre«, sagt er, »eine solche Information liefert uns nämlich unter Umständen den Fadenanfang, mit dem sich das Knäuel der Probleme entwirren lässt« – genau das ist seine Aufgabe als (ehrenamtlicher) Ombudsmann für die Studierenden und wissenschaftlich Mitarbeitenden der Goethe-Universität.
Wer sich an ihn wende, habe in irgendeiner Art und Weise Probleme mit der Universität, berichtet Bereiter-Hahn und zählt Beispiele auf, »›die Universität‹ kann hier sehr vieles sein: Zum einen kann die Universität als Ganzes gemeint sein – bei mir hat sich zum Beispiel mal eine Fachschaft darüber beschwert, dass ihr Fachbereich absolut unzureichend mit Hilfskraft-Stellen und Mitteln für Tutorien ausgestattet war. Ich konnte dann über das Präsidium Abhilfe schaffen.«
Zum anderen könne aber auch ein Dozent gemeint sein, der die Ergebnisse einer Prüfung nicht richtig oder nicht rechtzeitig an das zuständige Prüfungsamt gemeldet habe. Außerdem könnten Probleme bei der Immatrikulation bestehen oder die Exmatrikulation drohen, und zu den »Problemen mit der Universität« gehörten auch Klagen über den rüden Umgangston von Lehrenden, im Extremfall sogar über sexuelle Belästigung, über eine als ungerecht empfundene Note, über problematisches Verhalten des Doktorvaters beziehungsweise der Doktormutter und über ein konfliktträchtiges Arbeitsklima im Labor. Immer wieder werde auch über Publikationen gestritten – sei es, dass es, um das prinzipielle Okay für eine Publikation geht, sei es, dass es um die Reihenfolge der Namen in der Autorenliste geht.
Um die Probleme ›mit der Universität‹ zu lösen, können Betroffene den Ombudsmann in seiner wöchentlichen Sprechstunde im Seminarpavillon Hansaallee / Ecke Miquelallee aufsuchen, möglichst nachdem sie ihn durch eine E-Mail an ombudsmann@uni-frankfurt.de kontaktiert und einen Gesprächstermin vereinbart haben. Angesichts von durchschnittlich drei Ratsuchenden, die sich pro Woche an ihn wenden, hat eine Sprechstunde dabei im allgemeinen deutlich mehr als 60 Minuten; außerdem vereinbart Bereiter-Hahn oft auch inoffizielle Termine unter der Woche, und manches längere Gespräch führt er abends über seinen heimischen Telefonanschluss, zumal wenn sich Professoren oder Professorinnen an ihn wenden, weil sie unsicher sind, wie sie sich gegenüber Studierenden verhalten sollen, damit bestimmte Konflikte gar nicht erst entstehen.
»Pro Jahr kommen also rund 150 Fälle zusammen, in denen ich um Rat oder Hilfe gefragt werde«, sagt Bereiter-Hahn. »Wenn man sich allerdings überlegt, dass an der Goethe-Universität rund 47.000 Studierende eingeschrieben sind, wird schnell klar, dass diese 150 nur eine Art ›Spitze des Eisbergs‹ sein können und dass es bei Problemfällen und Konflikten eine beträchtliche Dunkelziffer geben muss.« Andererseits habe er die Erfahrung gemacht, dass sich in der Regel alle Beteiligten eines Konflikts ehrlich und intensiv um ein gutes Studienklima, um gerechte Behandlung und um intensives Lernen bemühten.
Gelegentlich musste Bereiter-Hahn allerdings erfahren, dass auch diese Regel Ausnahmen besitzt: »Es kommt leider immer wieder vor, dass Arbeitsgruppenverantwortliche eine Atmosphäre der Angst und Unsicherheit in ihrer Gruppe verbreiten«, bedauert Bereiter-Hahn, »damit richten sie großen Schaden an, insbesondere bei Nachwuchswissenschaftlern – und am Ruf der Universität.« Im juristischen Sinn sei ihnen kein Fehlverhalten nachweisbar, deswegen habe er nichts gegen sie in der Hand. »Auf ihr Verhalten angesprochen zeigen sich diese Personen allerdings absolut uneinsichtig.
So machen sie mir auf schmerzliche Weise bewusst, dass meine Einflussmöglichkeiten begrenzt sind.« Insofern versucht Bereiter-Hahn auch zum Selbstschutz, das Gleichgewicht zu halten: Wer sich an ihn wendet, den will er ernst nehmen, ohne sich ausschließlich auf die negativen Aspekte eines Falls zu stürzen. Eins ist gleich geblieben in den neuneinhalb Jahren, seit ihn der Senat auf Vorschlag des Universitätspräsidenten zum ersten Mal zum Ombudsmann wählte: Stets hätten sich deutlich mehr Klientinnen als Klienten an ihn gewandt, berichtet Bereiter-Hahn.
»Aber warum das so ist, weiß ich auch nicht«, stellt er klar, er habe allenfalls die Hypothese, dass Frauen die Spannungen an einer Universität empfindlicher wahrnähmen. Und wenn er gleich darauf hinzufügt: »Es wäre wirklich mal interessant, herauszukriegen, warum Frauen hier so klar in der Überzahl sind«, dann wird deutlich, dass die Neugier eines Forschers auch vierzehn Jahre nach seiner Emeritierung noch fester Teil seiner Persönlichkeit ist.
Bevor er emeritiert wurde, war Bereiter-Hahn drei Jahre lang Vizepräsident der Goethe-Universität. »Dadurch kannte ich den Betrieb und die Atmosphäre in allen 16 Fachbereichen und war praktisch überall präsent – auf meine Funktion als Ombudsmann hat mich das sicherlich bestens vorbereitet«, sagt er, »weil auf diese Weise immer klar war, dass die Professoren, also meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen, mich ernst nehmen. « Genauso wichtig sei außerdem gewesen, dass Studierende und Promovierende, die auf die Verschwiegenheit und Neutralität des Ombudsmannes bauten, zu ihm Vertrauen fassten.
»Es gibt ein Netzwerk der Ombudsleute sowie Beschwerde- und Verbesserungsmanager an den deutschen Hochschulen, da treffen wir uns jährlich«, erzählt Bereiter-Hahn, »in den meisten Hochschulen wird nicht ein emeritierter oder pensionierter Professor zur Ombudsperson ernannt, sondern eine relativ frisch promovierte Angestellte der Universität oder ein junger Mitarbeiter aus der Verwaltung.« Beide Modelle hätten ihre Vor- und Nachteile: Im Gegensatz zu ihm seien kürzlich Promovierte einfach noch »näher dran« an den Studierenden und Promovierenden; sie kämen daher leichter mit ihren Klienten in Kontakt. Wie lange jeweils der Kontakt zwischen ihm und seinen »Schützlingen« besteht, dafür gibt es keinen einheitlichen Wert.
Rund zwei Drittel der Fälle ließen sich durch einen Telefonanruf erledigen, sagt Bereiter-Hahn, so etwa wenn das Sekretariat eines Professors, einer Professorin ein Klausurergebnis nicht rechtzeitig mitteile oder ein Prüfungsamt nach mehr als einem Jahr immer noch kein Zeugnis ausgestellt habe. »Natürlich ist so etwas schlimm für die Betroffenen und kann enormen Stress für sie bedeuten«, stellt er klar. Aber um einen Konflikt handele es sich hier eigentlich nicht. In anderen Fällen dagegen müsste er sich mit den an einer Auseinandersetzung Beteiligten mehrfach, zunächst mit jedem einzeln zusammensetzen, bis eine für alle akzeptable Lösung gefunden sei.
Dabei steht nicht von vorneherein fest, was es bedeutet, dass ein Fall »gelöst« ist. Manchmal – in seltenen Fällen – gelingt es Bereiter-Hahn beispielweise, eine drohende Exmatrikulation noch abzuwenden. In solch einer Situation drängt sich der Kommentar »Fall gelöst« natürlich geradezu auf. Oder wenn es Bereiter-Hahn gelingt, mit einem Prüfungsamt besondere Bedingungen auszuhandeln (»Nachteilausgleich«), so dass ein Studierender beispielsweise wegen krankheitsbedingter Konzentrationsstörungen statt sechs nur vier Klausuren pro Semester schreiben muss und dementsprechend mehr Zeit bis zum ordnungsgemäßen Studienabschluss bekommt.
»Aber auch wenn ein Fall genau genommen nicht gelöst ist, kann er für mich einen Erfolg bedeuten «, stellt Bereiter-Hahn klar. »Oft fühlen sich zum Beispiel Studierende ungerecht behandelt. Wenn sie am Schluss zu der Auffassung gekommen sind, ›ich stimme meinem Prüfungsergebnis zwar immer noch nicht zu, aber ich kann es nachvollziehen‹, dann stellt das einen Erfolg für mich dar.« Die Gespräche haben dann die Transparenz von Entscheidungen erhöht.
Noch bis Ende 2020 wird Bereiter-Hahn Studierenden und Promovierenden zuhören. Er will sie als Individuen ernstnehmen und ihnen mit Empathie begegnen, wird sie dahingehend beraten, dass sie – wann immer das möglich ist – ihre Probleme selbst lösen, ohne dass er mit der Autorität eines ehemaligen Vizepräsidenten in Erscheinung treten muss. Dabei wird er sich auch weiterhin mit anderen Beratungsstellen der Goethe-Universität austauschen, so beispielsweise mit den entsprechenden Mitarbeiterinnen/Mitarbeitern des Studien-Service-Centers (SSC), dem International Office und der psychosozialen Beratung des Studentenwerks und der Gleichstellungsbeauftragten.
Auch weiterhin will Jürgen Bereiter-Hahn »den Studierenden vermitteln, dass ihre Schicksale der Goethe-Universität nicht gleichgültig sind, sondern dass sie sich um ihre Studierenden kümmert.«
Stefanie Hense
Kontakt zum Ombudsmann:
Prof. Dr. Jürgen Bereiter-Hahn
Ombudsmann für Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
E-Mail: ombudsmann@uni-frankfurt.de
Sprechstunde: Di. 13 – 14 Uhr und nach Vereinbarung
Tel. 069 / 798-32256 (nur während der Sprechstunde)
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2/20 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.