Goethe, Deine Forscher: Matthias Jahn, Strafrechtler und Richter

Matthias Jahn, Strafrechtler und Richter; Foto: Mike Schraft
Matthias Jahn, Strafrechtler und Richter; Foto: Mike Schraft

Matthias Jahn wusste von Anfang an, was er wollte: „Mein Schlüsselerlebnis war im Wintersemester 88/89, in meiner ersten Woche an der Goethe-Uni. Im Hörsaal 4, damals noch auf dem Campus Bockenheim, trat Winfried Hassemer vor uns Studienanfänger und hielt die Einführungsvorlesung Strafrecht. Da war mir klar: So etwas will ich auch machen.“

Jahn blieb bei seinem Berufswunsch: An der Goethe-Universität studierte er Jura mit dem Schwerpunkt Strafrecht, belegte Vorlesungen und Seminare bei Hassemer, erwarb bei ihm den „kleinen Schein“ und wählte ihn als Zweitgutachter in seinem Promotionsverfahren. Und nachdem er sich im Jahr 2003 habilitiert hatte, war er ein Jahr lang an das Bundesverfassungsgericht abgeordnet, als wissenschaftlicher Mitarbeiter von dessen damaligem Vizepräsident Winfried Hassemer.

Dem Strafrecht ist Jahn treu geblieben: Als wissenschaftlicher Mitarbeiter, als Lehrbeauftragter und, nach seiner Habilitation, als Privatdozent für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtstheorie an der Goethe-Universität. Als Rechtsanwalt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Strafverteidigungen, zugelassen am Amts- und am Landgericht Frankfurt sowie als Staatsanwalt beim Landgericht Frankfurt.

Als Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg, als Richter im zweiten (später: im ersten) Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg und schließlich seit 2013 als Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Rechtstheorie an der Goethe-Universität.

Verzahnung von Theorie und Praxis

Auf ihn als Wissenschaftler übt das Strafrecht eine ganz besonderer Faszination aus: „Kein anderes Teilgebiet unseres Rechts, also weder Arbeits- und Sozialrecht noch Familien- oder Handelsrecht, erfordert eine so enge Verzahnung von Theorie und Praxis. Die Paragrafen des StGB und der StPO sind das schärfste Schwert, das unsere Rechtsordnung zur Verfügung stellt.

Gerade hier sollten deshalb nicht nur die in der Praxis Tätigen ein Fundament aus theoretischen Kenntnissen haben. Genauso sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Routinen und informellen Regeln der Praxis vertraut sein.“ Die Praxis im Gerichtssaal, die von Strafgesetzbuch (StGB) und Strafprozessordnung (StPO) bestimmt wird, kennt der Wissenschaftler Matthias Jahn aus allen drei Perspektiven, die ein Jurist in der Verhandlung einnehmen kann:

Er hat dort als Verteidiger, als Staatsanwalt und als Richter agiert. Zwar hat er als Richter dabei den meisten Einfluss, genießt das größte Prestige, aber wenn man ihn fragt, welche Rolle für ihn am reizvollsten ist, dann antwortet er nach einigem Nachdenken:

„Ein Strafverfahren ist von vorneherein eine asymmetrische Angelegenheit. Deshalb ist die wichtigste Rolle die des Verteidigers. Sie ist definitiv mit der größten Herausforderung verbunden, weil der Verteidiger in einem Verfahren nicht nur dem Richter, sondern auch dem Staatsanwalt institutionell unterlegen ist.“

Mitglied in Expertenkommission des Bundesjustizministers

Das wird auch nach der Reform des Strafprozessrechts so bleiben, die im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD festgeschrieben ist und zu deren Vorbereitung Bundesjustizminister Heiko Maas kürzlich eine Expertenkommission einberufen hat – dieser Kommission gehört auch Jahn an:

Gemeinsam mit dreißig anderen Vertretern der Wissenschaft, der juristischen Praxis, der Landesjustizverwaltungen sowie des Innen- und des Justizministeriums wird er bis zur Mitte der Legislaturperiode erste Vorschläge erarbeiten, wie Strafverfahren effektiver gestaltet werden können.

„Da stellt sich zunächst einmal die Frage, was Effektivität bedeuten soll“, erläutert Jahn. „Es geht hier um mehr als um nackte Zahlen. Wir leben in einem Rechtsstaat, da kann es nicht das einzige Kriterium sein, dass ein Strafverfahren gut funktioniert und schnell zu Ende gebracht wird.“

Seine Position bei der Erarbeitung der Reform lässt sich mit zwei Leitbegriffen umreißen: Partizipation und Konsens. Dabei bedeutet Partizipation, dass alle Seiten vom Verfahrensbeginn – also den polizeilichen Ermittlungen – an angemessen zu beteiligen sind, und Konsens meint die Möglichkeit, ein Strafverfahren zu einem einvernehmlichen Ende zu bringen – ohne dass dies eine kontrollierte Kapitulation des Rechtsstaats bedeutet.

Er freut sich über die Chance, die ihm die Mitwirkung in der Kommission eröffnet: „Als Wissenschaftler hat man selten Gelegenheit, seine Vorstellungen von guter Rechtspolitik derart früh in die Diskussion einzubringen. Im Allgemeinen werden Rechtswissenschaftler ja zu einem so späten Zeitpunkt im Gesetzgebungsverfahren gehört, dass sie keine Weichen mehr stellen können.“

In die Arbeit der Kommission kann er zweierlei einfließen lassen: die Erkenntnisse des soeben zu Ende gegangenen Forschungssemesters, währendessen er für ein Buchprojekt mehr als 3.000 Anwälte zu ihren Erfahrungen als Pflichtverteidiger befragt hat, sowie seine Erfahrungen als Leiter der bundesweit einzigen Forschungsstelle für Recht und Praxis der Strafverteidigung (RuPS).

Auch auf eigene Erfahrungen aus der juristischen Praxis kann er weiterhin zurückgreifen: Sein Richteramt am Oberlandesgericht Nürnberg hat er zuletzt ruhen lassen, während er sich nach dem Bayerischen Richtergesetz in Elternzeit befand. Die ist jetzt zu Ende gegangen, und mit Matthias Jahn beginnt dieser Tage nach jahrzehntelanger Pause wieder ein Jura-Professor der Goethe-Universität seine Tätigkeit als Richter am Oberlandesgericht Frankfurt. [Autorin: Stefanie Hense]

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