»Ich halte nichts von Absolutheitsansprüchen«

Eugen Eckert ist auch Stadionpfarrer in der Commerzbank-Arena; Foto: Meier
Eugen Eckert ist auch Stadionpfarrer in der Commerzbank-Arena; Foto: Meier

Mittwochabend, halb zehn. Wenn andere längst Feierabend haben, lädt Eugen Eckert zum Gottesdienst ein. Seit 20 Jahren ist er Pfarrer der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) an der Goethe-Universität. »Im Gespräch mit den Studierenden hat sich herausgestellt, dass das die Zeit ist, die für die meisten am besten funktioniert«, erzählt Eckert. Zwischen 30 und 40 Studierende sind in der Regel dabei. Die ökumenischen Gottesdienste lassen Raum für Dialog, auch hinterher gibt es bei Baguette und Wein reichlich Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

»Die Atmosphäre ist herrlich«, schwärmt Eckert. »Es gibt eine große Lust zu reden und sich auszutauschen, meist komme ich erst morgens um drei Uhr nach Hause.« Ort der Zusammenkunft bei den Gottesdiensten von ESG und Katholischer Hochschulgemeinde (KHG) ist seit dem Umzug auf den Campus Westend das »Haus der Stille«. »Auf dem Campus Bockenheim gab und gibt es eine Kirche der Hochschulgemeinden. Für den Campus Westend war es dem Präsidium und uns wichtig, auch anderen Religionsgemeinschaften einen Raum zu bieten, denn in der Vergangenheit fehlte zum Beispiel den Muslimen ein Ort, um zu beten«, erläutert Eckert.

Gute Erfahrungen mit dem »Haus der Stille«

In die Konzeptionsphase des Hauses wurden deshalb neben den Kirchen bewusst auch Vertreter der jüdischen Gemeinde und des muslimischen Moscheevereins Ditib einbezogen. Die bisherigen Erfahrungen mit dem »Haus der Stille« seien durchweg positiv, so Eckert, der stellvertretender Vereinsvorsitzender des Hauses ist: Während aktuell an verschiedenen Hochschulen darüber diskutiert wird, die »Räume der Stille« wieder zu schließen, ist das beim Frankfurter »Haus der Stille« kein Thema.

»Wir begleiten die Nutzung mit unseren Gremien und moderieren bei Streitpunkten. Ich glaube, das macht den Unterschied zu den meisten anderen ›Räumen der Stille‹, die sich einfach selbst überlassen wurden«, vermutet der Studierendenpfarrer und erklärt beispielhaft, wie durch Gespräche Interessenskonflikte gelöst werden konnten: Einige Muslime seien in der Vergangenheit dazu übergangen, laut zu beten und hinderten dadurch andere am eigenen Gebet.

Darüber hinaus gab es von muslimischer Seite den Wunsch, dass alle Nutzer ihre Schuhe vor Betreten des Hauses ausziehen sollten. Das Kuratorium stellte daraufhin klar, dass das Haus der Stille keine Moschee ist; ein Aushang erinnert nun daran, dass die Stille einzuhalten ist. «Seitdem ist uns kein Problemfall mehr bekannt. Und wenn Muslime ihre Schuhe ausziehen wollen, können sie das gerne tun, es wird nur eben keine entsprechende Vorschrift für alle geben«, stellt Eckert klar.

Seelsorge auch für junge Musiker

Die Kirche auf dem Campus Bockenheim ist für den Studierendenpfarrer als Veranstaltungsort aber weiterhin wichtig: Eckert – selbst Musiker und Alumnus der Goethe-Universität – kümmert sich mit Herzblut um die Kulturangebote der ESG. Regelmäßig organisiert er Konzerte, bei denen Studierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst auftreten. Vor kurzem hat Eckert zum 425. Konzert in der Kirche eingeladen.

Die Musikstudierenden spielen im Allgemeinen ohne Gage, nutzen das Konzert gerne als Zusatzprobe für Prüfungen. »Da sind dann auch oft Prüfungsängste mit im Gepäck, und ich stehe den Studierenden immer für ein Gespräch zur Seite«, sagt Eckert, der sein Büro im Wohnheim der Kirchen auf dem Campus Westend hat. Seelsorge gehört auch sonst zu den wichtigsten Aufgaben des ESG-Pfarrers – ob es nun um typische Studierendensorgen wie Probleme beim Einleben in Frankfurt geht, Liebeskummer, Prüfungsängste oder tiefe Lebenskrisen durch Berührungen mit dem Tod im eigenen Umfeld.

Wer macht den Elfmeter im wahren Leben?

Als Studierendenpfarrer hat Goethe-Uni- Alumnus Eugen Eckert eine halbe Stelle. Gleichzeitig ist er der erste Stadionpfarrer der Commerzbank-Arena. Als das ehemalige Waldstadion für die Fußball-WM 2006 umgebaut wurde, wurde dort nach dem Vorbild von Stadien wie in Barcelona oder Rio eine Kapelle integriert. Der Kirchenpräsident persönlich fragte damals bei Eckert an, ob er die inhaltliche Nutzung der Kapelle übernehmen könne.

Eckerts Band Habakuk tritt unter anderem regelmäßig bei Kirchentagen auf; Foto: Boderke-Eckert
Eckerts Band Habakuk tritt unter anderem regelmäßig bei Kirchentagen auf; Foto: Boderke-Eckert

»Er hat mich damals richtiggehend ›genötigt‹, die Stelle als Stadionpfarrer anzunehmen «, erinnert sich Eckert und lacht. »Ich habe dann erst einmal nur für ein Jahr zugesagt, um mein Konzept danach evaluieren lassen.« Eckerts Arbeit kam gut an, mittlerweile ist er im 10. Jahr im Stadion tätig; er tauft, traut Paare, bringt vor allem aber Konfirmanden und anderen Jugendgruppen Kirche an ungewöhnlichen Orten nahe.

Dabei überträgt er Standardsituationen aus dem Fußball auf das ›normale Leben‹, um die Alltagsrelevanz des Glaubens zu zeigen. »Ich habe 2015 das Buch ›Der Heilige Geist ist keine Schwalbe‹ veröffentlicht, in dem ich viele dieser Vergleiche ziehe: Ein Spiel dauert 90 Minuten, unser Leben, wenn wir Glück haben, bis zu 90 Jahre. Es geht darum, wie wir diese Zeit nutzen.

Entscheiden wir uns fürs Fairplay oder begehen wir Fouls? Wenn wir fallen – wie gehen wir damit um? Oder wenn Entscheidungen gefällt werden müssen: Übernehmen wir den Elfmeter? Oder sind wir froh, wenn andere das für uns machen?« Vom Hessischen Fußballverband wurde Eckert mittlerweile zum Fairplay-Botschafter berufen; manchmal unterschreiben Mannschaften nach einem seiner Vorträge direkt eine Anti-Diskriminierungs- Selbstverpflichtung. »Wir versuchen, mit unserer Graswurzelbewegung etwas der Gewalt in den Stadien entgegenzusetzen«, erläutert Eckert seine Motivation.

Auf der großen Bühne und im Gesangbuch

Die große Leidenschaft in Eckerts Leben ist die Musik. Neben der Theologie hat er auch Musik studiert und vor mehr als 40 Jahren die Band Habakuk mit gegründet. Mit ihrer christlichen Popmusik haben sie mittlerweile 25 CDs produziert; seit 1977 waren sie bei jedem Kirchentag dabei. »Das ist ein tolles Gefühl, wenn man vor tausenden Besuchern spielt«, sagt Eckert.

Stolz ist der Songtexter darauf, dass Lieder aus seiner Feder mittlerweile in den Gesangsbüchern aller deutschen christlichen Kirchen zu finden sind. »Da stehen unsere Namen dann neben denen von Paul Gerhard oder Martin Luther – das macht mich ganz ehrfürchtig.« Muße zum Texten findet der leidenschaftliche Frühaufsteher vor allem am frühen Morgen, »wenn die Familie noch schläft und die Vögel singen«.

Die Ideen für die Lieder sind inzwischen teils auch durch Aufträge gesteuert, aktuell schreibt der gebürtige Frankfurter zum Beispiel an einem Libretto für ein Luther-Oratorium, das 2017 zum Reformationsjubiläum in Tecklenburg auf einer großen Open-Air-Bühne uraufgeführt werden soll. Angst vorm leeren Blatt kennt Eckert bei seiner Arbeit nicht: »Wenn ein Liedtext funktionieren soll, braucht man eigentlich immer nur einen guten Gedanken, der Rest ist Handwerk.« Welche Rolle spielt der Glaube in seinem Leben? »Mein Glaube trägt mich und ich weiß, dass Gott mich hält«, sagt der Studierendenpfarrer.

„In Indien wäre ich als Hindu geboren“

»Aber ich halte nichts von Absolutheitsansprüchen des Glaubens. Als ich eine Zeitlang in Indien gearbeitet habe, wurde mir klar, dass ich dort eben als Hindu geboren wäre. Ich weiß, woran ich glaube, und ich respektiere, woran andere glauben.« Krisen und Gewalt in der Welt sind kein Grund für Eckert, an seinem Glauben zu zweifeln. »Ich gehöre zu denen, die den Holocaust sehr bewusst reflektiert haben. Die Theologin Dorothee Sölle hat uns damals vermittelt, dass Gott in der Ohnmacht erfahrbar ist. Ich glaube, dass Gott auf der Seite der Schwachen und Ohnmächtigen steht, aber wenn Gott in unser Leben eingreifen würde, würde es den Freiheitsbegriff nicht geben und wir wären nur Marionetten: Wir sind in diese Welt gestellt, wir wissen, nach welchen Spielregeln wir uns verhalten sollen. Ich glaube nicht an die Allmacht Gottes, aber ich glaube, dass Gott die Macht ist, die diese Welt zusammenhält.«

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.16 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.

Neues Video zum Song „Verrückt nach Licht“ von Eugen Eckerts Band Habakuk:

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