Müssen wir immer noch mehr Gutes tun? Die Philosophin Jessica Fischer im Porträt

Die Philosophin Jessica Fischer, Postdoctoral Fellow des Justitia Center for Advanced Studies, forscht zur moralphilosophischen Begründung der Maximierung des Gutseins.

Ein internationaler Gast am Forschungskolleg Humanwissenschaften, deren Muttersprache aber Deutsch ist: Jessica Fischer hat in Deutschland Abitur gemacht, ist danach direkt für den Bachelor nach Großbritannien gegangen. Dort, am University College London, machte sie dann auch den Master. Auf den dann auch noch die Promotion folgen sollte: Mitte Januar erst hat sie erfolgreich ihre Disputation bestritten. „Ich kenne die deutsche Hochschullandschaft eigentlich gar nicht“, sagt Jessica Fischer lachend. Seit dem letzten Herbst ist sie nun Postdoctoral Fellow des Justitia Center for Advanced Studies, das von Prof. Rainer Forst geleitet wird. Wenn Jessica Fischer über ihr Forschungsthema spricht, muss sie sich wieder ganz neu ins Deutsche „eindenken“, sagt sie. „Selbst hier am Forschungskolleg ist Englisch die Wissenschaftssprache, daher habe ich nur selten Gelegenheit, über meine Arbeit in deutschen Begrifflichkeiten zu sprechen“, erklärt sie.

Wenn sie den Kern ihres Forschungsthemas erklärt, tut sie dies ganz grundsätzlich: „Wir müssen fortlaufend schwierige Entscheidungen treffen: ob als Individuen, Bürger* innen oder politische Entscheider*innen, die über die Verteilung knapper Güter entscheiden müssen, zum Beispiel im Gesundheitswesen. Dabei stellt sich aber die Frage, welche Prinzipien dahinterstehen. Ein Prinzip in der moralischen und politischen Philosophie ist es, dass man, wenn man die Möglichkeit hat, sich so entscheidet, mehr und nicht weniger Gutes zu tun (unter sonst gleichen Bedingungen). Aber wenn wir uns die Entscheidungen im realen Leben anschauen, dann werden fortlaufend Entscheidungen getroffen, die scheinbar davon abweichen: So werden mit öffentlichen Mitteln Parks und Museen finanziert, anstatt mit dem Geld dafür zu sorgen, dass mehr Leben in Krankenhäusern gerettet werden können.“ Geht man von einem Wertepluralismus aus, kann man natürlich erklären, warum Parks und Museen finanziert werden. Wenn man aber andere Beispiele untersucht, kommt man manchmal mit dem Wertepluralismus als Erklärung nicht mehr weiter. Sie können die Annahme unterstützen, dass wir keine Pflicht haben, mehr statt weniger Gutes zu tun (unter sonst gleichen Bedingungen): „Es gibt Websites, die berechnen können, wie viele Menschenleben gerettet werden, wenn man eine bestimmte Summe an eine Wohltätigkeitsorganisation spendet. Darauf aufbauend könnte man ja fordern, dass man sein Geld vor allem an jene Organisation gibt, die bei diesem Ranking am besten abschneidet. Aber beherzigte man dies, würde nichts mehr für andere Zwecke gespendet. Mancher gibt vielleicht sein Geld lieber an eine Suppenküche in seinem Stadtteil“, gibt Fischer zu bedenken. Ihr Ansatz ist in der Moralphilosophie eher selten und wird mitunter auch kontrovers diskutiert, was sie aber auch als Vorteil empfindet: „Dadurch gibt es theoretisch auf diesem Feld noch viel zu durchdenken.“ Jessica Fischer betont im Gespräch, dass es ihr nicht darum gehe, dass weniger Gutes getan werde; vielmehr möchte sie bestimmte Pflichten, die sich Menschen auferlegen, einer noch gründlicheren philosophischen Betrachtung unterziehen.

Dafür bietet ihr das Forschungskolleg beste Bedingungen, sagt sie ganz begeistert: „Hier hat man einerseits viel Natur, einen phantastischen Blick bis nach Frankfurt, aber auch einen sehr fruchtbaren kollegialen Austausch“, schwärmt Fischer von ihrem Aufenthalt dort. Aktuell seien manche Treffen aufgrund der Corona-Lage etwas eingeschränkt, aber das tägliche Fellow-Mittagessen biete weiterhin Gelegenheiten zu informellen Gesprächen und Diskussionen in der kleinen Community. Bis zum Sommer wird Jessica Fischer noch in Bad Homburg forschen; sie hofft, dass auch bald wieder die wöchentlichen Kolloquien am Forschungszentrum der Normativen Ordnungen in Präsenz stattfinden können. Das Campusleben in Frankfurt ist für Jessica Fischer eine willkommene Möglichkeit, endlich mal das deutsche Hochschulleben zu erkunden. Auch die nächste Station in ihrer wissenschaftlichen Biographie wird in Deutschland liegen: Zum Wintersemester geht sie für zwei Jahre an die Ludwig-Maximilians-Universität München, ein Stipendium macht dies möglich.

Das Justitia Center wird von der Alfons und Gertrud Kassel-Stiftung finanziert und gefördert.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2022 (PDF) des UniReport erschienen. 

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