Gerade für Erstsemester ist der digitale Semesterstart eine besondere Herausforderung. Auch das neue Goethe-Orientierungsstudium (GO) Geistes- und Sozialwissenschaften hat seine Studienanfängerinnen und -anfänger digital begrüßt. Doch ist Studienorientierung unter diesen Umständen überhaupt möglich?
Ihren Studienstart hatten sie sich sicher anders vorgestellt: die fast 4000 „Erstis“, die im Sommersemester 2020 ihr Studium an der Goethe-Universität aufgenommen haben. Für sie ist es ein „Ankommen auf Distanz“, verbunden mit Herausforderungen besonderer Art. Denn die Universität hat ihren gesamten Lehrbetrieb auf Distanzlehre umgestellt: Statt in Vorlesungssälen, Seminarräumen und Laboren wird am heimischen Schreibtisch gelernt. Ohne Campus als gemeinsamen Raum, ohne die persönliche Begegnung mit den Lehrenden und den direkten Kontakt mit den neuen Kommilitoninnen und Kommilitonen ist es für Studienanfängerinnen und -anfänger besonders schwierig, sich zurechtzufinden.
Auch für die gut 150 Erstsemester im neuen Goethe-Orientierungsstudium (GO) Geistes- und Sozialwissenschaften ist es ein über Medienportale und Online-Plattformen vermittelter Studienstart. Das Semesterthema scheint aus jetziger Perspektive treffend gewählt: „Lost in Translation? Macht und Möglichkeit von Kommunikations- und Übersetzungsprozessen von Wissen“. Im einsemestrigen Orientierungsstudium wird dieses Thema aus verschiedenen fachlichen Perspektiven betrachtet und von den Studierenden in einem ersten eigenen Forschungsprojekt beleuchtet. Natürlich steht das Thema schon seit Monaten fest.
An der Universität anzukommen, unterschiedliche Fächerkulturen kennenzulernen, das passende Studienfach zu finden – ist das, was die Orientierungsstudierenden leisten sollen, auf Distanz tatsächlich möglich? Im Wintersemester 2019/20 startete das Orientierungsstudium in den Natur- und Lebenswissenschaften, nun wird es auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften angeboten. Das vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderte Modellprojekt verbindet systematische Orientierungsangebote wie Ringvorlesungen, Projektseminare, Workshops zum akademischen Schreiben, Workshops aus den Studienfächern und Mentoring-Angebote mit einem Einblick in unterschiedliche Studiengänge. „Die Orientierungsstudierenden kommen mit breit gefächerten Interessen, jedoch meist wenig konkreten Vorstellungen von den einzelnen Fächern an die Universität“, sagt die wissenschaftliche Koordinatorin, Dr. Johanna Scheel. „Daher ist für sie die Teilnahme an regulären Lehrveranstaltungen verschiedener Fächer besonders wichtig.“ Hier bekommen sie einen realistischen Eindruck von den Studienbedingungen, Inhalten und Methoden des Fachs und können diese Erfahrungen bei ihrer Studienfachentscheidung einbeziehen.
Die Studienorientierung auf Distanz kann gelingen, davon sind die Beteiligten überzeugt: „Wir haben beispielsweise eine digitale Einführungswoche mit Gruppenaktionen und vielen Informations- und Austauschmöglichkeiten geplant und digital durchgeführt. Der Vizepräsident für Studium und Lehre hat die Orientierungsstudierenden per Videobotschaft begrüßt; für das Kennenlernen untereinander konnten Steckbriefe mit Foto und kurzem Text erstellt werden“, berichtet Scheel. Vorträge und Vorlesungen werden inzwischen als Videoaufnahmen zur Verfügung gestellt, die Lerninhalte in Liveformaten gemeinsam diskutiert, Sprechstunden über Online-Chats abgehalten.
Der anfangs als Irrgarten aus Plattformen und Webseiten erlebte virtuelle Raum der Universität wird allmählich übersichtlicher – auch dank der vielfachen Unterstützung durch Studierende fortgeschrittenen Semesters, die den jüngeren Kommilitoninnen und Kommilitonen beim Weg in den Studienalltag zur Seite stehen. „Beim Tutorium das erste Mal Zoom zu benutzen war sehr, sehr ungewohnt. Aber es bietet eine tolle Alternative, dass auch alles ohne Präsenzlehre zu schaffen ist“, sagt eine „GO“-Studentin.
Neue Räume erobern, sich offen auf ungewohnte Lern- und Kommunikationsformate einlassen und sich in unerwarteten Settings selbst strukturieren – das passt eigentlich gut zum Orientierungsstudium. Denn, wie ein Lehrender ausführt: „Es geht nicht darum, dass wir die Studierenden orientieren. Orientierung ist ein aktiver Prozess.“ In diesem Sinne bietet das „Ausnahmesemester“ der ersten Studierendengeneration im Orientierungsstudium Geistes- und Sozialwissenschaften eine besondere Gelegenheit zum selbstständigen Ausprobieren, Lernen und Studieren.