Andrian Yambolov weiß, was er will: „meinen Ph.D. machen“, sagt der 28 Jahre alte Bulgare, der im bulgarischen Varna und in London seine Bachelorabschlüsse in Finanzwirtschaft, Mathematik und Volkswirtschaftslehre sowie in Bonn einen Master in Volkswirtschaftslehre gemacht hat. Sein Karriereweg soll ihn zu einer internationalen Organisation wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder zu einer Zentralbank führen. Deswegen hatte er das Ziel „Ph.D.“ schon, als er im Oktober 2017 nach Frankfurt kam. Damals schrieb er sich an der GSEFM ein, der „Graduiertenschule für Economics, Finance und Management“, die von den drei Rhein-Main-Universitäten Frankfurt, Darmstadt und Mainz getragen wird.
Als den ersten Teil seiner Ausbildung in Frankfurt (gewissermaßen als Einstimmung auf seine Promotion an der GSEFM) nimmt Yambolov an dem stark forschungsorientierten Master-Programm „MSQ“ der Graduiertenschule teil: MS steht für den akademischen Grad „Master of Science“, den er damit anstrebt, und Q deutet an, dass es sich bei den drei Schwerpunkten des MSQ-Programms um quantitativ-analytische Wissenschaften handelt. Deren Ziel ist es, wirtschaftliche Vorgänge anhand mathematisch-statistischer Modelle zu analysieren:
„Quantitative Economics“, „Quantitative Finance“ und „Quantitative Marketing“. Dabei entspricht „Economics“, das an der GSEFM bei Weitem begehrteste der drei Schwerpunktfächer, der deutschen „Volkswirtschaftslehre“ und umfasst insbesondere die Fächer Mikroökonomik (analysiert beispielsweise das Sparverhalten einzelner Personen und die Produktionsentscheidungen einzelner Unternehmen), Makroökonomik (hat gesamtökonomische Zusammenhänge wie etwa Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit und Inflation im Blick), Entwicklungsökonomik, monetäre Ökonomik (analysiert die gesamtwirtschaftliche Rolle von Geld und anderen Finanzinstrumenten) sowie Ökonometrie (misst ökonomische Zusammenhänge mithilfe statistischer Verfahren).
„Finance“ (Finanzwirtschaft) geht unter anderem den Fragen nach, wie sich Unternehmen finanzieren und wie sich die Preise von Finanzinstrumenten, etwa von Aktien, Bonds und Derivaten, bilden. „Marketing“ schließlich untersucht, wie Unternehmen ihre Güter und Dienstleistungen an den Bedürfnissen des Marktes ausrichten und ihre Wettbewerbsposition etwa durch das Erkennen von Marktveränderungen stärken können.
Flexible Schwerpunkte
Die Wahl des Schwerpunktes sei allerdings keine „Entscheidung fürs Leben“. Zum einen bildeten die Veranstaltungen, die von allen Studierenden besucht würden, ein breites gemeinsames Fundament. Zum anderen lasse das MSQ-Studium eine individuelle, (in Grenzen) flexible Schwerpunktsetzung in der Spezialisierungsphase zu. „Und egal, ob Sie sich mit Economics, Finance oder Marketing beschäftigen, die international meistbeachtete Forschung kommt heutzutage zu quantitativen Schlussfolgerungen“, sagt Michael Binder, Vorsitzender des GSEFM-Vorstandes, „das können Theorien sein, die Wirkungszusammenhänge erklären wie auch empirische Arbeiten, die aufdecken, welche Kausalbeziehungen in den Daten relevant sind.“
Um sich in die aktuelle Forschung einzubringen, müssten Studierende genauso wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur in der Lage sein, die zugrunde liegenden Modelle zu verstehen. Sie müssten diese Modelle auch hinterfragen, indem sie jeweils bestimmten, wie sich die Aussagen des Modells ändern würden, wenn es unter anderen Voraussetzungen aufgestellt werde. Dafür sind vergleichsweise tiefgehende mathematische und ökonometrische Kenntnisse erforderlich, welche die Studierenden während der Kursphase des auf zwei Jahre angelegten MSQ-Programms erwerben. „Wenn sie die Kursphase durchlaufen haben, sollen unsere Studierenden aktuelle Forschungsveröffentlichungen hinterfragen können; er oder sie sollte sagen, ‚so, jetzt kann ich (im Prinzip) diese Literatur verbessern‘“, erläutert Binder und fügt hinzu, „wobei diese Fähigkeit natürlich wesentlich ausgebaut wird, während die Studierenden ihre Masterarbeit und im Idealfall danach eine Dissertation schreiben.“
Aber diese „technischen“ Fähigkeiten alleine reichten nicht aus, stellt Binder klar: „Genauso wichtig ist schließlich der inhaltliche Tiefblick, der auch immer über die Wirtschaftswissenschaften hinausweist: Welche sind die gewichtigen Fragen, mit denen sich unsere Gesellschaft beschäftigt – oder aber sich beschäftigen sollte?“ Aus diesem Grund gehöre zur Kursphase auch das Fach „Institutionelle Grundlagen“, in dem die Studierenden die historischen und die normativen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften kennenlernten. Für die drei Schwerpunkte Volkswirtschaftslehre, Finanzwirtschaft und Marketing bietet die GSEFM seit 15 Jahren strukturierte Promotionsprogramme an, die auf dem Bachelorabschluss aufbauend direkt zum Ph.D.-Abschluss führen.
„Aber damals gab es in den deutschen Wirtschaftswissenschaften nur sehr wenige strukturierte Promotionsprogramme, und auch heute noch sind sie leider nicht – wie etwa in den USA – der alleinige Weg zur Promotion“, berichtet Binder. Von ihrem akademischen Weg hätten viele Studierende weniger klare Vorstellungen als beispielsweise der junge Bulgare Andrian Yambolov: Auch mit dem Bachelor in der Tasche und obwohl sie die anspruchsvolle, quantitativ-analytische Forschung reizvoll fänden, die an der GSFEM vermittelt werde, wollten sie sich nicht darauf festlegen, noch weitere vier oder fünf Jahre bis zum Ph.D.-Abschluss an der Universität zu bleiben.
MSQ als Option für Unentschlossene
„Deswegen haben wir 2005 auch das MSQ-Programm eingerichtet“, sagt Binder. Die Unentschlossenen unter den Bachelorabsolventinnen und -absolventen könnten sich also erstmal nur als MSQ-Studierende einschreiben. Wenn sie nach dem ersten Jahr erfolgreich an den Qualifizierungsklausuren der Ph.D.-Studierenden teilnähmen, könnten sie das Studium in ihrem zweiten Jahr auch als Ph.D.-Studierende weiterführen (ohne dass sie deshalb das MSQ-Studium fallen ließen). „In solchen Fällen dient uns das MSQ-Programm gewissermaßen als Rekrutierungsinstrument für die strukturierte Doktorandinnen- und Doktorandenausbildung“, sagt Binder.
„Und es kommt fraglos auch der umgekehrte Fall vor“, fährt er fort, „also dass Studierende sich in eines der Ph.D.- Programme einschreiben und dann im Laufe des ersten Jahres möglicherweise feststellen, dass die quantitativ-analytische Forschung vielleicht doch nicht ganz das Richtige für sie ist.“ Natürlich sollten auch diese stärker anwendungsorientierten Studierenden zu einem guten Abschluss ihrer Ausbildung an der GSEFM kommen, betont Binder, „und das tun sie, indem sie im zweiten Jahr Kurse mit stärkerer Betonung institutioneller Gegebenheiten belegen, die sie auf weniger forschungsbezogene Berufe vorbereiten.“
Dabei müssten sich alle Studienanfängerinnen und -anfänger darüber im Klaren sein, dass sie, auch wenn sie „nur“ einen Masterabschluss an der GSEFM anstrebten, nicht auf einfachere Kurse zu spekulieren brauchten, als sie die Ph.D.- Studierenden durchliefen. „Für die quantitativ-analytische Arbeit begabte Studierende können alle Kurse des MSQProgramms erfolgreich durchlaufen, auch wenn sie zuvor ‚nur‘ einen Bachelor in den Wirtschaftswissenschaften oder anderen Fächern mit quantitativer Komponente erworben haben. Aber wir kommunizieren ihnen ganz deutlich, dass sie kein Recht haben, ‚Welpenschutz‘ einzufordern. Das Kursprogramm hat denselben Anspruch wie international führende Ph.D.-Programme.“
Internationale Studierendenschaft
International ist auch die Studierendenschaft des MSQ-Programms – Andrian Yambolov ist bei Weitem kein Exot unter seinen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Aus China, Korea, Russland, Slowenien und anderen osteuropäischen Ländern stammen die rund 140 Studierenden, die derzeit den MSQ anstreben; aus Deutschland, Österreich und Italien kommen sie genauso wie vereinzelt aus südamerikanischen Ländern wie Brasilien und afrikanischen Ländern wie Ägypten. Nicht alle Studierenden sprechen fließend Deutsch – das müssen sie auch gar nicht. „Wenn sie wollen, dass ihre Forschungsergebnisse international wahrgenommen werden, müssen sie auf Englisch publizieren, das ist nun mal der Standard in den Wirtschaftswissenschaften“, sagt Binder. Deswegen würden alle Kurse auf Englisch abgehalten, und Bewerberinnen und Bewerber müssten zumindest mittlere Englischkenntnisse nachweisen.
Für Andrian Yambolov war diese Voraussetzung ein „Klacks“; wer von den GSEFM-Studierenden das eigene Englisch allerdings noch etwas aufpolieren wolle, könne dazu verschiedene Angebote der Goethe-Universität wahrnehmen, sagt Binder, beispielsweise an der „Graduierten-Akademie“. Die GSEFM ist auf ihre Errungenschaften stolz: „MSQ-Absolventinnen und -Absolventen finden problemlos hochinteressante Stellen, etwa bei Beratungsunternehmen, Finanzdienstleistern und öffentlichen Institutionen“, betont Binder.
„Darüber hinaus ist unsere Statistik bei den Erstanstellungen von Promovierten der GSEFM erster Güte; den Vergleich mit den Ph.D.-Programmen europäischer Top-Universitäten brauchen wir nicht zu scheuen.“ Dennoch gebe es keinen Stillstand in den Plänen der GSEFM, das MSQ-Programm solle in Zukunft auch stärker rechtliche Aspekte berücksichtigen: „Wir denken darüber nach, unseren Masterstudiengang um den Schwerpunkt ‚Law und Economics‘ zu erweitern“, sagt Binder, wobei eine Schwierigkeit dieses Vorhabens darin bestehe, dass Studierende mit guten juristischen Kenntnissen üblicherweise keine hinreichende quantitative Vorausbildung mitbrächten.
Stefanie Hense
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 3.19 des UniReport erschienen.