Zwei EMTHERA-Forschende im Porträt

Für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder bewirbt sich die Goethe-Universität Frankfurt mit vier neuen Clustern zu den Forschungsthemen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der Schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Die Anträge vereinen die Kompetenzen und zukunftsweisenden Ideen der Goethe-Universität mit denen der Kolleg:innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weiterer Partner der vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird im kommenden Jahr direkt einen Vollantrag einreichen.

Die interdisziplinäre Exzellenzcluster-Initiative EMTHERA (emerging therapeutics) soll die molekularen Mechanismen untersuchen, die Erkrankungen an der Schnittstelle von Infektion, Entzündung und Immunität zugrunde liegen. Zwei Forschende der Goethe-Universität Frankfurt sind an diesem Projekt beteiligt und werden dort ihre Expertise einbringen: die technische Pharmazeutin Maike Windbergs und der Pathologe Peter Wild. In ihrem jeweiligen Spezialgebiet haben sie schon viel erreicht.

Die Zweitmeinung der KI

Peter Wild.

Wenn Peter Wild eine Vorlesung beginnt, stellt er zuerst klar, dass er nicht „der Boerne“ aus dem Münster-Tatort ist. Der ist Rechtsmediziner, Wild ist dagegen Pathologe und leitet das Senckenbergische Institut für Pathologie (SIP) am Universitätsklinikum Frankfurt. Beide Berufe sind nicht zu verwechseln. Pathologie ist die Lehre von den Krankheiten, ein Querschnittsbereich der Medizin, der sich auf Gewebeanalysen konzentriert. 95 Prozent der Arbeitszeit nimmt die intravitale Diagnostik ein, die Analyse und Bewertung der Gewebeproben lebender Menschen. Die Pathologie hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, so Wild. „Durch die Digitalisierung sammeln wir erhebliche Datenmengen. Ein einziges histologisches Bild kann bis zu zehn Gigabyte groß sein.“ Hinzu kommt eine zweite Entwicklung. Mit neuen Technologien wie dem Next Generation Sequencing lassen sich Zellen auf molekularer Ebene untersuchen – auch diese Daten werden gesammelt. Es braucht technische Lösungen für die Speicherung der wachsenden Datenmassen. Diese sieht Wild jedoch auch als Chance, die medizinische Forschung weiterzubringen.

Sein Ziel: die Pathologie zu einer quantitativen, computergestützten Disziplin weiterentwickeln, die präzise, prädiktiv, prognostisch und personalisiert ist. Wild arbeitet daran, diese 4P-Pathologie schrittweise zu verwirklichen. Im SIP wird eine riesige Biodatenbank mit histologischen Bildern und molekularen Daten von Krebsgewebe aufgebaut. Mittlerweile sind dort 40 000 Patientendaten abgelegt. So soll es in Richtung personalisierte Medizin gehen. „Jeder Tumor sieht unter dem Mikroskop komplett anders aus, aber es gibt auch Ähnlichkeiten. Wir versuchen, diese Ähnlichkeiten mithilfe der Biodatenbank zu klassifizieren und so Tumorpatienten in bestimmte Gruppen einzuteilen, um daraus maßgeschneiderte Therapien ableiten zu können.“

Auch Künstliche Intelligenz (KI) kommt zum Einsatz. Sie soll Pathologen zum Beispiel bei der Einschätzung eines Prostatakarzinoms unterstützen. Hier wird untersucht, wie stark sich das Tumorgewebe vom gesunden Gewebe unterscheidet. Diese „Differenzierung“ zeigt an, wie aggressiv der Prostatatumor ist, also wie schnell er wächst. Dafür gibt es den Gleason-Score – und den müssen Pathologen angeben. „Nur können die Einschätzungen beim selben Tumor unterschiedlich sein“, sagt Wild. Der eine Pathologe sieht ein 3 + 3-Karzinom – dann müsste bei kleinen Tumoren nicht operiert werden. Der andere hält es für ein 3 + 4-Karzinom – danach wäre die OP unumgehbar. Ein Phänomen, das Interobserver-Variabilität genannt wird und für eine bestimmte Anzahl von Ausreißern sorgt: Einschätzungen, die ein Karzinom als zu gefährlich oder zu harmlos klassifizieren – was dann zu falschen therapeutischen Entscheidungen führt.

KI soll dafür sorgen, dass so etwas nicht mehr passiert. Indem sie zuerst mit den Daten von vielen Karzinomen und den dazu­gehörigen Einschätzungen von Pathologen trainiert wird und dann ihre „Zweitmeinung“ zu einem bestimmten Karzinom abgibt. Der Pathologe schaut sich diese an und überprüft seine eigene Einschätzung noch einmal, sofern diese laut KI falsch gewesen ist. „Wir benutzen hier das Prinzip der Weisheit der vielen“, erklärt Wild. „Zwar wird KI mit den heute gängigen Modellen nie so gut sein wie der beste Pathologe, aber immer so gut wie der Durchschnitt der guten Pathologen. Die Einschätzungen stehen also auf stabileren Beinen.“

Maike Windbergs.

Damit es auch ohne Tierversuche geht

Um abschätzen zu können, wie ein neues Arzneimittel im menschlichen Körper wirkt, muss es vorab getestet werden. Ein Weg sind Tierversuche, meist mit Mäusen. Diese bedeuten für das Tier jedoch oft starke Schmerzen oder den Tod. Zu den ethischen Fragen kommen Fragen der Prädiktivität, also der Vorhersagekraft. Wie genau lässt sich überhaupt beurteilen, wie das am Tier getestete Medikament beim Menschen wirkt? Tiere haben einen anderen Körperbau als Menschen. Und die physiologischen Prozesse im Tierkörper sind auch andere als die im Menschenkörper, weswegen sich die Ergebnisse nicht einfach so 1:1 auf den Menschen übertragen lassen. „Daher ist es besser, für Medikamententests gleich menschliches Gewebe zu nehmen“, sagt Maike Windbergs vom Institut für Pharmazeutische Technologie. Genau in diesem Forschungsfeld, den 3R-Verfahren, arbeitet die Professorin. 3R steht für replace, reduce, refine – also ersetzen, reduzieren, verbessern von Tierversuchen.

Windbergs hat in Düsseldorf Pharmazie studiert und zum Thema Arzneimittelformulierung promoviert. Also wie ein Medikament verpackt sein muss, um im menschlichen Körper den Wirkort zu erreichen und dort effektiv zu wirken. Danach ging sie als Postdoc nach Harvard zur School of Engineering and Applied Sciences, wo sie mit mikro­fluidischen Reaktoren arbeitete. In diesen Reaktoren wird menschliches oder tierisches Gewebe in einer fließenden Flüssigkeit kultiviert. So wie es im menschlichen Körper ja auch alles fließt: Blut, Lymphflüssigkeit, Speichel. „Im normalen Zellkulturgefäß wird diese Bewegung nicht beachtet. Das Zellkulturmedium ist zwar eine Flüssigkeit, aber diese ist statisch.“ Nach Harvard folgte 2010 das Helmholtz-Institut für Pharma­zeutische Forschung im Saarland. Da stieg Windbergs dann richtig ins Thema 3R ein und züchtete Organsysteme auf Basis von menschlichen Zellen und Geweben. Dann, 2017, nahm sie den Ruf auf die neue Professur für 3R-Verfahren an der Goethe-Universität Frankfurt an.

Hier arbeitet Windbergs an Verfahren, die Tierversuche komplett überflüssig machen. Das menschliche Gewebe stammt unter anderem aus Schönheitskliniken. Der Gewebeabfall, der bei den Schönheits-OPs entsteht, wird eingesammelt und zur weiteren Verarbeitung ins Uni-Labor gebracht. Windbergs Schwerpunkt sind In-vitro-Modelle, die die Wundheilung mit menschlichem Gewebe nachahmen können. Bei Wunden zeigt sich sehr anschaulich, warum es besser ist, menschliches Gewebe zu nehmen, um Medikamente für Menschen zu testen. „Nehmen wir die Maus. Da sie ein Wildtier ist, müssen sich ihre Wunden schnell schließen, damit sie überleben kann.“ Daher besitzt die Maus – wie andere Nagetiere auch – einen zusätzlichen Muskel unter der Haut, den Panniculus carnosus. Er zieht das Gewebe an der Wunde zusammen. „Wir Menschen haben diesen Muskel nicht, bei uns läuft die Wundheilung ausschließlich über Zellen, die ins Wundbett einwandern und so die Wunde schließen. Bei der Maus passiert so etwas zwar auch, aber das Zusammenziehen des Extra-Muskels ist der vorherrschende Mechanismus. Die Wundheilung funktioniert also anders als bei uns.“

Neben der reinen Wundheilung ist die Behandlung von infizierten Wunden ein riesiges Problem in den Kliniken. Bakterien bilden sogenannte Biofilme, die eine Bekämpfung der Infektion massiv erschweren. „Da ist uns kürzlich ein echter Durchbruch gelungen“, verkündet Windbergs. Ein In-vitro Wundmodell mit einem bakteriellen Biofilm war das Ziel langjähriger Forschung. Jedoch reift ein gezüchteter Biofilm nur langsam. So langsam, das die Zellen darunter absterben, wenn der Reifungsprozess vollendet ist. So funktioniert es also nicht – weswegen Windbergs ein anderes Verfahren für infizierte Wunden entwickelte: Dabei reift der Biofilm separat und wird anschließend intakt auf das Gewebemodell aufgetragen. Die Pharmazeutin ist zufrieden mit den Ergebnissen: „Das Modell ist sehr prädiktiv, also aussagekräftig für die Vorgänge im menschlichen Körper. Theoretisch könnte es morgen mit der industriellen Testung neuer Wirkstoffe losgehen.“ Als Nächstes baut Windbergs die Gewebe-Biofilm-Kombination aus. Dabei testet sie Biofilme, die gleich mehrere gefährliche bakterielle Keime in sich tragen. Es sind die fünf weltweit gefährlichsten Infektionskeime, die unter dem Akronym ESKAPE zusammengefasst sind.

Andreas Lorenz-Meyer

EMTHERA

Der Open Science-Ansatz spielt beim EMTHERA-Projekt eine große Rolle, sagt Peter Wild. Die Daten, die die beteiligten Forschenden im Rahmen der Initiative produzieren, werden geordnet und öffentlich zugänglich gemacht. Daraus lassen sich dann hoffentlich Modelle für infektiöse, inflammatorische und immunologische Erkrankungen entwickeln. Auch 3R-Modelle werden ein essentieller Bestandteil von EMTHERA sein, so Maike Windbergs. Ein eigenes Feld innerhalb der Initiative haben zudem Drug Delivery Systeme – hier sind sowohl Windbergs Gruppe als auch Forschende in Mainz beteiligt. Es geht um die Verpackung von Molekülen wie mRNA und PROTACs.

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