Zum Tag der Provenienzforschung: Virtueller 360°-Rundgang durch Raubgut-Ausstellung

Die Ausstellung „StolperSeiten – NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main“ wird zum Tag der Provenienzforschung am 12. April 2023 als virtueller 360°-Rundgang online verfügbar sein. Sie basiert auf einem Projekt, in dem die Bibliothek mit Förderung des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste nach Büchern im Bestand forscht, die Verfolgten der NS-Zeit zuzuordnen sind. Die vergleichsweise häufigen Funde waren Anlass für die Verlängerung. Das Projekt läuft nun bis November 2024. Es gab bereits mehrere Restitutionen an jüdische und andere Organisationen.

„StolperSeiten“ war der Titel einer vielbeachteten Ausstellung der Bibliothek im Jahre 2022 zu „NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main“. Ab sofort ist diese Ausstellung wieder geöffnet, nun aber als virtueller 360°-Rundgang. In der Ausstellung wird der historische Rahmen gespannt, der ab 1933 zu hunderttausendfachem Raub von Kulturgütern in Deutschland und Europa führte. Im Fokus stehen dabei die Stadt Frankfurt und vor allem deren Bibliotheken und wie diese in den organisierten Raub involviert waren und davon profitierten. Viele konkrete Unrechtsfälle werden benannt. Außerdem wird mit teils interaktiven Elementen die heutige Arbeit der Provenienzforschenden nähergebracht. http://stolperseiten.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/  

Die Gestaltung der Online-Ausstellung ist ein Projekt von fuels – Future Learning Spaces. Das vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderte Verbundprojekt der Goethe-Universität, der TU Darmstadt und Hochschule Darmstadt hat zum Ziel, innovative Technologien wie 360°, Augmented und Virtual Reality in die Hochschullandschaft zu tragen. Mehr Informationen unter: https://futurelearning.space/  

Projekt zur Ermittlung von nationalsozialistischem Raubgut

Im November 2020 startete das Team Provenienzforschung der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main (UB JCS) mit einem Projekt zur Ermittlung von nationalsozialistischem Raubgut in einem ersten Teilbestand, der rund 80.000 Bände umfasst. Gesucht wird dort nach sogenanntem „verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“, also Bücher die in der NS-Zeit von verfolgten Personen oder Institutionen geraubt oder abgepresst wurden. Bibliotheksdirektorin Daniela Poth über die Beweggründe, in der Bibliothek nach NS-Raubgut zu forschen: „Wir sehen es als moralische Verpflichtung, das in der NS-Zeit begangene Unrecht aufzudecken und in der Öffentlichkeit zu dokumentieren, wenn man es auch damit nicht wiedergutmachen kann. Darin sind sich Universitätsleitung, Bibliotheksleitung und Projektleitung einig.“ Das Projekt der UB JCS der Goethe-Universität wird gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Die Stadt Frankfurt gibt einen Zuschuss zu den Projektkosten, da auch viele Bücher betroffen sind, die sich zwar als Dauerleihgabe in der UB JCS befinden, aber historisch bedingt städtisches Eigentum sind.

Vor allem vor dem Hintergrund der vergleichsweise hohen Fundzahlen wurde der Antrag zur Verlängerung des Projekts bewilligt, so dass dieses nun bis November 2024 laufen wird. Somit befindet sich das Projekt seit wenigen Monaten in der zweiten Hälfte der Laufzeit. Zeit für eine Zwischenbilanz. Bislang wurden knapp 40.000 Bände einzeln am Regal überprüft, ob es in ihnen Hinweise auf Vorbesitzer*innen gibt. Dies ist tatsächlich in einem ungewöhnlich hohen Prozentsatz von rund 39% der Fall. Somit mussten bisher über 15.000 Bände näher geprüft werden, um zu klären, ob es einen Verdacht auf Raubgut gibt. Bei über 3.800 Büchern liegt ein Anfangsverdacht vor, bei 200 Büchern ein starker Verdacht und bei 349 Büchern handelt es sich um bestätigte Raubgutfälle. Mit der Ermittlung dieser Zahlen und der frei zugänglichen Dokumentation dieser Fälle im Suchportal der Bibliothek endet aber die Arbeit des Projektteams nicht. Bei allen bestätigten Raubgutfällen recherchieren die Projektmitarbeitenden, ob es Nachfahren oder Nachfolgeinstitutionen gibt. Ist diese teils sehr aufwändige Suche erfolgreich, nimmt die Bibliothek Kontakt auf und klärt mit den möglichen Restitutionsempfänger*innen, ob eine Rückgabe erwünscht ist oder von ihnen eine andere „faire und gerechte Lösung“ bevorzugt wird.

Dass die Recherchen und Abstimmungen dazu auch viel Zeit in Anspruch nehmen, zeigt die Tatsache, dass es nach Projektbeginn einige Zeit dauerte, bis erste Restitutionen nicht nur vorbereitet, sondern bereits vollzogen werden konnten. So wurden innerhalb des letzten halben Jahres drei Bücher an die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern, ein Buch an die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden und acht Bände an die Minerva-Loge zu den drei Palmen in Leipzig restituiert, also zurückgegeben. Auch zu diesen Bänden finden sich entsprechende Nachweise im Suchportal der Bibliothek – als virtuelle „StolperSeiten“. Weitere Restitutionen sind in Vorbereitung und können vermutlich im Laufe des Jahres ihren Abschluss finden.

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