Forscher der Goethe-Universität patentieren Signalweg-Blockade zur COVID-19-Therapie

Prof. Jindrich Cinatl (links), Dr. Christian Münch

Viele Viren nutzen und manipulieren Kommunikationswege ihrer Wirtszellen, um ihre eigene Vermehrung zu fördern. Biochemiker und Virologen von Goethe-Universität und Universitätsklinikum Frankfurt haben jetzt erstmals ein Gesamtbild der Kommunikation einer Zelle erstellt, die von SARS-CoV-2-Viren befallen ist. Dabei gelang es den Wissenschaftlern in Zellkultur-Experimenten, die Virusvermehrung mit einer Reihe klinisch erprobter Krebs-Medikamenten zu stoppen. Die Medikamente setzten an Stellen an, an denen mehrere Kommunikationswege der Zelle zusammentreffen (Molecular Cell, DOI 10.1016/j.molcel.2020.08.006). Das Verfahren ließen sich die Frankfurter Wissenschaftler patentieren.

Bei der Weiterleitung von Signalen in der Zelle, die zum Beispiel zum Zellwachstum anregen oder Stoffwechselprozesse auslösen, spielen Phosphorgruppen eine wichtige biochemische Rolle. Die Phosphorgruppen werden häufig an Proteine angehängt oder von ihnen abgespalten. Dabei löst eine Protein-Veränderung die nächste aus, und das Signal wird wie in einer Kaskade weitergeleitet. Meist ist das Ziel der Zellkern, wo Gene an- oder abgeschaltet werden.

Isolierung des Wirkstoffs Sorafenib in der Krebsmedikament-Produktion. Sorafenib ist einer der Wirkstoffe, die auch die SARS-CoV-2-Vermehrung stoppen, wie Forscher der Goethe-Universität jetzt herausfanden. (Foto: Bayer AG)

Biochemiker und Virologen von Goethe-Universität Frankfurt und Universitätsklinikum Frankfurt haben jetzt erstmals ein komplettes Bild aller Kommunikationswege einer von SARS-CoV-2 infizierten menschlichen Zelle aufgenommen und beobachtet, welche Veränderungen der Virusbefall auslöst. Dafür analysierten sie die Gesamtheit aller Proteine, die in einer Momentaufnahme eine Phosphorgruppe tragen, das sogenannte Phospho-Proteom. Das Ergebnis: Vor allem Signalwege der Wirtszelle, bei denen ein Wachstumssignal von außen in die Zelle geleitet wird, werden offenbar vom SARS-CoV-2-Virus genutzt. Wenn diese Signalwege unterbrochen werden, kann sich das Virus nicht mehr vermehren.

Dr. Christian Münch vom Institut für Biochemie II der Goethe-Universität erklärt: „Die Signalwege der Wachstumsfaktoren lassen sich direkt dort blockieren, wo das Signal von außerhalb der Zelle an einen Signal-Empfänger – einem Wachstumsfaktorrezeptor – andockt. Es gibt jedoch eine Reihe sehr wirksamer Krebs-Medikamente, die Wachstumsfaktor-Signalwege etwas tiefer in der Kaskade unterbrechen, wodurch die Signale von unterschiedlichen Wachstumsfaktorrezeptoren blockiert werden. Fünf dieser Wirkstoffe haben wir an unseren Zellen getestet, und alle fünf führten zu einem kompletten Stopp der SARS-CoV-2-Replikation.“

Prof. Jindrich Cinatl vom Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt sagt: „Unsere Experimente haben wir an kultivierten Zellen im Labor durchgeführt. Die Ergebnisse lassen sich also nicht ohne weitere Tests auf den Menschen übertragen. Doch durch Untersuchungen anderer infektiöser Viren wissen wir, dass Viren häufig Signalwege in ihren menschlichen Wirtszellen verändern und dass dies für die Virusvermehrung wichtig ist. Gleichzeitig haben bereits zugelassene Medikamente einen ungeheuren Entwicklungsvorsprung, sodass man auf Grundlage unserer Ergebnisse und weniger weiterer Experimente sehr schnell mit klinischen Studien beginnen könnte.“

Das Verfahren, mit bestimmten Hemmstoffen Signalwege zu unterbrechen, um eine COVID-19-Erkrankung zu therapieren, haben sich die Wissenschaftler über INNOVECTIS patentieren lassen. INNOVECTIS wurde 2000 als Tochterunternehmen der Goethe-Universität Frankfurt gegründet und agiert seitdem erfolgreich als Dienstleister beim Transfer von akademischem Know-how in die wirtschaftliche Praxis.

Publikation: Kevin Klann, Denisa Bojkova, Georg Tascher, Sandra Ciesek, Christian Münch, Jindrich Cinatl. Growth factor receptor signaling inhibition prevents SARS-CoV-2 replication. Molecular Cell, https://doi.org/10.1016/j.molcel.2020.08.006

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