Millionen winziger Pilzarten bisher ohne Namen: Forscher*innen stellen Verfahren zur Namensgebung vor

Etwas schmutzig und deformiert sieht die Blüte der Acker-Witwenblume aus, wenn sie vom Kleinpilz Peronospora violacea befallen wird. Foto: Marco Thines (TBG)

Millionen kleiner Pilzarten haben noch keine Namen, darunter auch Krankheitserreger für Menschen, Tiere und Pflanzen. Das könnte sich bald ändern. Ein Team von Forscher*innen hat nun neue Möglichkeiten zur Namensgebung von Pilzen vorgestellt. Daran mitgearbeitet hat Prof. Dr. Marco Thines vom LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) sowie international führende Systematikerinnen. Sogenannte Mikropilze sind teilweise nur aus genetischen Analysen von Umweltproben, etwa von Bodenproben, bekannt. Gängige Bestimmungsschlüssel sind auf sie nicht anwendbar. Die im Fachmagazin „Nature Microbiology“ vorgestellten Systeme orientieren sich an der Namensgebung von Bakterien und basieren auf molekulargenetischen Eigenschaften.

Während Champignon, Hefe oder Penicillium allgemein bekannt sind, wachsen viele der 150.000 beschriebenen Pilzarten im Verborgenen. Über drei Millionen Arten sind zudem noch unbekannt, schätzen Expert*innen. Durch moderne genetische Methoden ist die Anzahl an neu entdeckten Pilzarten in diesem Jahrtausend rasant gestiegen. Viele davon sind winzige Arten, sogenannte Mikropilze, die Forscher*innen bislang nur mit molekularen Analysen aufspüren konnten. „Die zahlreichen neuen Pilzarten mit aktuellen Methoden zu erfassen und zu benennen, würde Jahrhunderte dauern“, sagt Prof. Dr. Marco Thines von LOEWE-TBG, Wissenschaftler am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum in Frankfurt und Professor für Evolutionäre Analyse und Biologische Archive an der Goethe-Universität Frankfurt. „Dafür gibt es schlicht zu wenige Pilzspezialist*innen.“

Gefürchtet, bekämpft, umbenannt – der Falsche Mehltau ist eine durch Pilze verursachte Krankheit an Kulturpflanzen wie Wein, Kartoffeln oder Tabak. Heute fasst man die verantwortlichen Pilzarten in der Ordnung Peronosporales zusammen. Bei ihrer Entdeckung im 19. Jahrhundert wurden sie noch als Plasmo Para beschrieben.
Foto: Marco Thines (TBG)

Internationale Pilzspezialist*innen um Thines haben nun eine Strategie entwickelt, um die vielen namenlosen Pilzarten künftig einzuordnen und zu bestimmen. Die Herausforderung dabei: Von ganzen Abstammungslinien der neu entdeckten Pilze sind nur die DNA-Sequenzen bekannt. Man weiß oft nicht genau, wie sie aussehen oder wie sie leben. Diese auch als „dunkle Gruppen“ bezeichneten Pilze finden Forscher*innen zum Beispiel, wenn sie Boden- oder Wasserproben genetisch analysieren. Beim sogenannten Metabarcoding oder der Metagenomik wird das Erbgut aller Lebewesen in einer Probe untersucht und die unterschiedlichen Erbgutinformationen anschließend mit Datenbanken abgeglichen. So kann man feststellen, welche Arten in der Probe enthalten sind.

Die meisten der so identifizierten Organismen sind jedoch in keiner klassischen Datenbank zu finden – sie sind noch nicht beschrieben. Thines und Kolleg*innen schlagen verschiedene Möglichkeiten vor, diese Arten systematisch zu benennen und einzuordnen. So könnten die neuen Pilze zum Beispiel mit einer individuellen Identifikationsnummer versehen werden, die auch dann unverändert bleibt, wenn die Art irgendwann auch mikroskopisch beschrieben werden kann oder einer anderen Gattung zugeordnet wird.

Dass jeder Pilz – egal ob klassisch mit dem Mikroskop entdeckt oder durch Sequenzierung – einen beständigen Namen hat, ist nicht nur für Pilzspezialistinnen von Bedeutung. Zu den Pilzen gehören viele Krankheitserreger, wie etwa der Weizen-Stängelrost (Puccinia graminis f.sp. tritici), der Getreidepflanzen befällt, oder Candida-Arten, die für Hautinfektionen wie Soor beim Menschen verantwortlich sind. „Eine präzise und zuverlässige Bezeichnung eines pathogenen Pilzes ist entscheidend für eine erfolgreiche Behandlung von Patient*innen“, sagt Wieland Meyer, Professor für Molekulare medizinische Mykologie an der Universität von Sydney und Co-Autor der Studie. „Kann die Diagnose so rechtzeitig gestellt werden, ermöglicht das eine gezielte und erfolgversprechende Therapie.“

Die Regeln für die Benennung von Pilzen wurden vor mehr als 100 Jahren erstmals festgelegt und sind im Internationalen Code der Nomenklatur für Algen, Pilze und Pflanzen festgehalten. Alle vier bis sechs Jahre werden die Regeln aktualisiert, um mit neuen wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. Innovative Methoden der Genomik erfordern nun umfangreiche Neuerungen. Die Internationale Kommission zur Taxonomie der Pilze, der Thines angehört, vergleicht die dadurch stetig wachsende Zahl an Datenpunkten mit den Sternen in unserer Galaxie – Tendenz weiter steigend.

Viel zu tun also für Pilzspezialist*innen. Doch die Arbeit lohnt sich, meint Thines. „Pilze sind von Bedeutung als Krankheitserreger sowie als Lieferanten von Naturstoffen zur natürlichen Schädlingskontrolle, für Biokraftstoffe, Lebensmittel oder Arzneimitteln“, sagt der Biologe. „Aber nicht nur das. Pilze sind neben Tieren und Pflanzen die dritte tragende Säule unserer Ökosysteme. Nur wenn wir sie kennen und benennen können, ist es möglich, die biologische Vielfalt systematisch zu erforschen, zu schützen und dadurch zu bewahren.“

Publikation in Nature Microbiology: Robert Lücking, M. Catherine Aime, Barbara Robbertse, Andrew N. Miller, Takayuki Aoki, Hiran A. Ariyawansa, Gianluigi Cardinali, Pedro W. Crous, Irina S. Druzhinina, David M. Geiser, David L. Hawksworth, Kevin D. Hyde, Laszlo Irinyi, Rajesh Jeewon, Peter R. Johnston, Paul M. Kirk, Elaine Malosso, Tom W. May, Wieland Meyer, Henrik R. Nilsson, Maarja Öpik, Vincent Robert, Marc Stadler, Marco Thines, Duong Vu, Andrey M. Yurkov, Ning Zhang, Conrad L. Schoch
„Fungal taxonomy and sequence-based nomenclature”

Das LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) bündelt Forscher*innen in Hessen, die die genetische Basis der biologischen Vielfalt untersuchen. Ziel ist es, die Erkenntnisse für gesellschaftliche Anliegen zu nutzen, etwa für den Naturschutz oder antivirale Strategien. Das Zentrum ist eine gemeinsame Forschungseinrichtung der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, der Goethe-Universität Frankfurt, der Justus-Liebig-Universität Gießen und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME. Finanziert wird es von der Hessischen Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE). Weitere Informationen: https://tbg.senckenberg.de/

Quelle: Pressemitteilung, LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG), Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum & Goethe-Universität Frankfurt, 28. April 2021

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