Sigmund-Freud-Institut: Den Ursachen von seelischem Leid auf den Grund gehen

Das Sigmund-Freud-Institut hat seinen Sitz in der Myliusstraße im Frankfurter Westend.

Der Mann, der gemeinhin als Begründer der Psychoanalyse bekannt ist und mit seinen Theorien die Sichtweise auf die menschliche Persönlichkeit revolutionierte, lieh ihm seinen Namen. In unserer Reihe über die Frankfurter Forschungsinstitute, die eng mit der Goethe-Universität kooperieren, stellen wir dieses Mal das Sigmund-Freud-Institut vor, das sich forschend mit der Psychoanalyse und ihren Anwendungen befasst.

Die Geschichte

Gegründet wurde es auf Anregung von Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Georg August Zinn, dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten, als Institut und zunächst auch noch als psychoanalytisches Ausbildungszentrum in Deutschland. Erster Institutsdirektor wurde Alexander Mitscherlich, der die Untersuchung des Unbewussten mit der Sozialpsychologie verband und im Zuge dessen auch einen wesentlichen, international bedeutsamen Beitrag zur Auseinandersetzung der Deutschen mit der NS-Geschichte leistete. Dabei hat die von Sigmund Freud vor mehr als 100 Jahren ins Leben gerufene Psychoanalyse in Frankfurt eine lange Tradition. Bereits 1926 gründete eine Gruppe von Psychiatern und Psychologen eine Arbeitsgruppe, aus der das Frankfurter Psychoanalytische Institut (FPI) hervorging. Dieses sah sich nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gezwungen, seine Tätigkeit 1933 einzustellen. Die zumeist jüdischen Psychoanalytiker mussten emigrieren, und es dauerte fast ein Vierteljahrhundert, bis die Psychoanalyse nach Frankfurt zurückkehrte. „Eine neue psychoanalytische Ära in Deutschland beginnt.“ – so die Worte von Sigmund Freuds Tochter Anna, als dann das Institut im April 1960 seine Tore öffnete. Heute kommt dem Sigmund-Freud-Institut als einer von nur wenigen außeruniversitären Einrichtungen für psychoanalytische Forschung in Deutschland besondere Bedeutung für die Weiterentwicklung psychoanalytischer Methoden und darauf basierender Forschung zu.

Das Profil

Forschung und Förderung von Wissenschaftler*innen in der frühen Berufsphase

Das Programm des Instituts zeichnet sich durch die Verbindung von klinischer Psychoanalyse, Sozialpsychologie und kulturwissenschaftlichen Perspektiven aus. In dieser Verbindung leistet es einen einzigartigen Beitrag zur Erforschung individueller psychischer Entwicklungen in Familie und Kultur, zu den Bedingungen psychischer Gesundheit und kreativer Entfaltung sowie zur psychotherapeutischen Behandlung.

Untersucht werden etwa Ursachen und Funktionsweisen von seelischem Leid und Krankheit in ihren individuellen und sozialen Dimensionen. Entsprechende Analysen bilden wiederum eine wichtige Grundlage für die Sozialpsychologie moderner Gesellschaften – auch mit Blick auf ihre rasanten Veränderungen, damit verbundene Chancen und Risiken. Aktuelle Forschungsprojekte im klinischen Bereich befassen sich beispielsweise mit psychoanalytischen Therapien bei Zwangserkrankungen oder mit Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten komplexer Traumata bei Kindern und Jugendlichen. Schwerpunkte liegen, auch im Rahmen von Verbundprojekten, in Untersuchungen zu Auswirkungen der Digitalisierung oder zu den psychischen Bedeutungen von Innovationen im Kontext moderner Medizin aus sozialpsychologischen und klinischen Perspektiven. Eine Forschungslinie liegt zudem in Studien zu Autoritarismus und Antisemitismus. Die psychosozialen Folgen von Migration und Flucht sind Gegenstand von Forschungsprojekten, zudem auch eines bei der Hans-Böckler-Stiftung eingeworbenen Promotionskollegs. Die Beteiligung von Wissenschaftler*innen in der frühen Berufsphase an den Forschungsprojekten des Instituts sowie die Vermittlung des aktuellen Erkenntnisstandes im Rahmen der universitären Lehre nehmen hier einen hohen Stellenwert ein.

Transfer

Zu den wesentlichen Aufgaben des Instituts gehört, die Forschungsergebnisse für aktuelle gesundheits- und sozialpolitische Problemstellungen anwendbar zu machen sowie therapeutische und präventive Handlungsoptionen vorzuschlagen. So bilden Präventions- und Evaluationsprojekte im Bereich der psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen ebenso wie die psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung wichtige Transferleistungen des Instituts. In der Forschungsambulanz werden jährlich rund 400 Patienten betreut und im Bedarfsfall an mit dem Institut kooperierende Therapeut*innen weitervermittelt. Überdies bietet das Institut Beratungsleistungen, Supervision und Krisenhilfe für Gruppen und Organisationen an.

Bibliothek

Forschenden, Studierenden, Praktizierenden und Interessierten steht die wissenschaftliche Spezialbibliothek für Psychoanalyse und ihre Anwendungen zur Verfügung. Sie dient insbesondere der Forschung im Rahmen von Projekten des Instituts, der universitären Lehre sowie der analytischen Aus- und Weiterbildung.

Die Köpfe

Vera King ist Geschäftsführende Direktorin des Instituts und Professorin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften.

Am Institut arbeiten derzeit etwa 30 wissenschaftliche Mitarbeitende, dazu kommen 10 Promotionsstipendiat*innen sowie Mitarbeitende in der Verwaltung. Etliche Studierende unterschiedlicher Fächer sind in Forschungsprojekte mit eingebunden und profitieren ebenfalls von dem engen Konnex von Forschung und Nachwuchsförderung. Vera King leitet das Institut als geschäftsführende Direktorin, sie ist zugleich Professorin für psychoanalytisch ausgerichtete Soziologie und Sozialpsychologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität. Stellvertretender Direktor ist Patrick Meurs, Professor an der Universität Kassel, Prof. Heinz Weiß leitet Forschungsprojekte des medizinischen Bereichs und die Ambulanz auf Grundlage einer Kooperation mit dem Robert-Bosch-Krankenhaus, Stuttgart.

Im Jahr 2020, dem 60. Jahr seines Bestehens, würdigte der Wissenschaftsrat die Arbeit des Sigmund-Freud-Instituts und betonte zugleich die innovativen Initiativen, die die Institutsleitung seit 2016 mit großem Engagement auf den Weg gebracht habe.

Die Kooperation mit der Goethe-Universität

Institut und Universität kooperieren in der Forschung, wie beispielsweise im Rahmen des interdisziplinären Forschungsclusters „ConTrust – Vertrauen im Konflikt“, und in der Förderung von Wissenschaftler*innen in der frühen Berufsphase, so etwa mit dem am Institut eingeworbenen Promotionskolleg. Mitarbeitende des Instituts sind an der universitären Lehre beteiligt, Studierenden und Wissenschaftler*innen in der frühen Berufsphase der Universität ermöglicht das Institut die Beteiligung an seiner Forschung und die Nutzung seiner Einrichtungen.

„Wir sehen die langjährige Zusammenarbeit mit dem Sigmund-Freud-Institut sehr positiv“, bestätigt Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität. „Vera King hat die psychoanalytisch-sozialwissenschaftliche Forschung erfolgreich vorangebracht, auch zum Nutzen unserer Studierenden und Wissenschaftler*innen in der frühen Berufsphase. Wir freuen uns auf die stete Weiterentwicklung der am SFI behandelten Forschungsfragen.“  Auch aus Sicht der Institutsleitung zeitigt die Kooperation nachhaltige Synergieeffekte: „Sowohl für die Forschung als auch für Lehre und Nachwuchsförderung hat sich die enge Kooperation zwischen dem außeruniversitären Forschungsinstitut und der Goethe-Universität als sehr fruchtbar erwiesen. Für viele gesellschaftlich hochaktuelle und notwendig disziplinübergreifende Themen, nicht zuletzt für die Profilbereiche der Goethe-Universität bietet diese Form der Verbindung hervorragende Voraussetzungen“, so Vera King.

Vera King, Verena Stenger

Weiterführende Informationen finden Sie unter www.sigmund-freud-institut.de

Psychoanalytisch orientierte Forschung im 21. Jahrhundert

Eine grundlegende Bedeutung für die Forschung und Förderung von Wissenschaftler*innen in der frühen Berufsphase hat im Sigmund-Freud-Institut die Zusammenarbeit zwischen der psychoanalytischen Sozialpsychologie und Soziologie, der klinisch-psychologischen Psychoanalyse sowie der psychoanalytisch-medizinischen Forschung auch im Rahmen der Ambulanz. Dabei geht es im Besonderen um  
• Weiterentwicklung der für das Sigmund-Freud-Institut in besonderer Weise kennzeichnenden Forschungslinien einer Verbindung von Psychoanalyse einerseits und Gesellschafts- oder Kulturanalyse andererseits,
• Psychoanalytische Konzept- und Grundlagenforschung, Prävention, Behandlung und Beratung,
• Studien zu komplexen Traumata,
• Projekte und ein interdisziplinäres Promotionskolleg zu psychosozialen Folgen von Migration und Flucht,
• Forschungen zu psychischen Bedeutungen von Digitalisierung in klinischen und nicht-klinischen Kontexten sowie von Beschleunigung und Optimierung in Relation zu Nachhaltigkeit sowie
• Studien zum zeitgenössischen Autoritarismus.

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1/2021 des Mitarbeitermagazins GoetheSpektrum erschienen.

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