Soziologie: Neigen vereinsamte Menschen zu rechtem Populismus?

Ein Paper zweier junger Wissenschaftler zum Zusammenhang von sozialer Zugehörigkeit und politischen Präferenzen verbindet soziologische und psychologische Fragenstellungen.

Protest gegen die Corona-Maßnahmen auf der Münchener Theresienwiese (2020). Foto: Martin Helgemeir/Shutterstock

Spätestens seit der COVID-19-Pandemie ist das Thema der Einsamkeit und sozialen Zugehörigkeit verstärkt in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerückt. Nun haben zwei Frankfurter Soziologen, Alexander Langenkamp und Simon Bienstman, sich in dem Artikel „Populism and Layers of Social Belonging: Support of Populist Parties in Europe“, erschienen in der Zeitschrift Political Psychology, der Frage gewidmet, inwiefern eine schwache soziale Zugehörigkeit die Wahrscheinlichkeit erhöht, für populistische Parteien empfänglich zu sein. Das Besondere an ihrer Hypothese: Dies komme rechten populistischen Parteien, nicht aber linken populistischen Parteien zugute.

Subjektive und objektive Befunde

Alexander Langenkamp erzählt, wie er ursprünglich auf das Thema aufmerksam geworden ist: Seit 2018 promoviert er zum Thema „empfundene Einsamkeit“. „Ich hatte im Studium bemerkt, dass sich Soziologen gerne mit sozialen Strukturen beschäftigen, also mit der objektiven Einbindung ins soziale Netz, sich aber erstaunlich wenig der subjektiven Wahrnehmung des Individuums gewidmet haben. So bin ich auf das Thema ‚Einsamkeit als Konzept‘ gekommen. Der Begriff der sozialen Zugehörigkeit ist gewissermaßen das Gegenstück dazu. Von Einsamkeit spricht man, wenn sich Menschen nur wenig sozial eingebunden fühlen und ihre Kontakte qualitativ oder quantitativ als unzureichend empfinden. Die affektive Reaktion darauf ist das Gefühl der Einsamkeit.“ Der Bezug zum Politischen, den die beiden Soziologen in ihrem Paper bearbeiten, sei eigentlich nicht neu, wie sie betonen. So habe die politische Theoretikerin Hannah Arendt nach dem 2. Weltkrieg vermutet, dass eine erodierte soziale Einbindung zu einer totalitären Neigung führen könne. Doch sei dieser Ansatz dann in die Kritik geraten und hat ab den 1970er-Jahren nach und nach an Popularität verloren – leider zu Unrecht, wie Langenkamp und Bienstman meinen. In der heutigen Populismus-Forschung spiele dieser Ansatz nahezu keine Rolle, sodass die beiden es wieder aufs Tape geholt haben. „Aber auf Grundlage einer besseren Datenlage“, wie sie betonen. „Seit einigen Jahren wählen in Europa deutlich mehr Menschen populistische Parteien. Wir haben uns das angeschaut und die Hypothese aufgestellt, dass eine mangelnde soziale Einbindung einerseits zum Nichtwählen, andererseits auch zum Wählen populistischer Parteien führt“, erklärt Simon Bienstman.

Der Begriff der sozialen Zugehörigkeit werde, so die beiden Soziologen, unterschiedlich operationalisiert und gemessen. Im Kern gehe es aber immer um eine subjektive Wahrnehmung: Fühlt man sich gut eingebunden? Hat man Menschen, denen man vertraut? Glaubt man, dass man nicht aus der gesellschaftlichen Norm fällt? „Es ist aber immer auch die Frage, welche Qualität die soziale Einbindung für den Einzelnen hat, nicht die Quantität der Kontakte. „Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen klar, dass viele Kontakte nicht vor Einsamkeit schützen. Eine Person, die viele Kontakte pflegt, kann durchaus sehr einsam sein. Gleichzeitig kann eine Person mit wenigen, aber dafür guten Kontakten sehr zufrieden leben und sich gut eingebunden fühlen“, erklärt Alexander Langenkamp. Seit den Nullerjahren sei ab und zu untersucht worden, in welchem Zusammenhang soziale Zugehörigkeit und Populismus stehen. Damals habe man keine Verbindung gesehen. Allerdings sei der politische Populismus damals noch weitaus weniger verbreitet gewesen. Seit einer Dekade sei vor allem in den angelsächsischen Ländern die soziale Einbindung und Einsamkeit plötzlich ein großes Thema geworden, mit einer leichten zeitlichen Verzögerung nun auch in Deutschland. Die Forschung könne nun belegen, dass sich Menschen zunehmend einsam fühlen, zugleich sinke auch langsam die Wahlbeteiligung. „Man muss natürlich vorsichtig sein, die beiden Befunde unmittelbar in Verbindung zu bringen. Man darf aber schon die Frage stellen: Besteht da eine Verbindung? Aus unserer Sicht ist das durchaus valide zu vermuten“, sagt Simon Bienstman.

Populismus gibt es nicht nur auf der rechten Seite

Alexander Langenkamp promoviert zu den Folgen von Einsamkeit auf politische Einstellungen und Teilhabe. Simon Bienstman promoviert zu den gesellschaftlichen Folgen wachsender ökonomischer Ungleichheit.

Wie definiert man aber nun Populismus, wann ist eine Partei populistisch? Es gebe auf diesem Gebiet verschiedene Forschungsstränge: Manche Forscher*innen sähen darin eine rhetorische Strategie, andere eher eine Ideologie, die eine gesellschaftliche Spaltung zwischen dem Volk und einer korrupten Elite beschwört. „Wir tendieren zu Letzterem. Populismus als sogenannte ‚thin ideology‘ hat die Eigenschaft, sich anderen ideologischen Schulen anzugliedern, an linke wie an rechte. In den letzten Jahrzehnten gab es mehr rechte populistische Parteien, entsprechend hat sich die Masse an Forschung mit Rechtspopulismus auseinandergesetzt“, so Langenkamp. Erst in der jüngsten Zeit habe man angefangen zu diskutieren, ob linke Parteien wie die griechische Syriza ebenfalls als populistische Parteien eingestuft werden sollten. Simon Bienstman betont, dass die Grenze zum Populismus nicht unbedingt trennscharf sei. „Populistische Parteien, ob rechter oder linker Couleur, eint, dass eine binäre Gesellschaft zugrunde gelegt wird, die von einer korrupten und bösen Elite regiert wird. Der Großteil der Gesellschaft besteht demnach aus einer homogenen Masse von good people, die betrogen wird, selber aber das richtige will.“ Während beim Rechtspopulismus linke Eliten oder gleich die ganze Politik der Feind sei, gehe man bei Linkspopulisten von dominierenden Wirtschaftseliten aus. Man müsse sich allerdings von der Vorstellung trennen, dass es EINE Linke und EINE Rechte gebe. Bei den Linken zeige sich die Unterschiedlichkeit bei den Generationen; während früher in der Linken vor allem auf wirtschaftliche Ungleichheit und soziale Absicherung gesetzt worden sei, fokussiere sich die junge Linke eher auf kulturelle Diversität, womit sich wiederum Ältere schwertäten.

Entwurzelte Menschen finden eher rechts ihre Heimat

„Wir argumentieren, dass die psychologischen Dispositionen von Menschen, die sich nicht zugehörig oder eingebunden fühlen, unterschiedliche Konsequenzen haben. Der Match zwischen dem Sich-ausgeschlossen- Fühlen und dem politischen Angebot unterscheidet sich zwischen links- und rechtspopulistischen Parteien. Rechtspopulistische Narrative sind besser darin, diese Menschen abzuholen. Das knüpft gut an die politisch-psychologische Forschung an, die auch davon ausgeht, dass nicht eingebunden fühlende Menschen zugänglicher sind für eher konservativ-autoritäre Narrative. Das wurde bislang in der Forschung etwas vernachlässigt, glaube ich“, sagt Simon Bienstman. Sein Co-Autor ergänzt: Studien zeigen, dass die emotionalen Reaktionen von Menschen mit schwacher Zugehörigkeit unter anderem Ängstlichkeit, Misstrauen und Distanziertheit beinhalten. Eine ideologische Bewegung wie der Rechtspopulismus, die sich für soziale Kontrolle und Law and Order einsetze, käme einer angstbesetzten Grundeinstellung sehr entgegen. Das sei ein deutlicher Kontrast zu linken Kernideologien, in denen Veränderung positiv besetzt sei. „Es kommt darauf an, verschiedene Dimensionen des Eingebundenseins – die Verfügbarkeit von Menschen, mit denen man über Vertrautes reden kann, die Frequenz von Kontakten und auch das Gefühl, sich gut in die Gesellschaft eingebunden zu sehen – zu untersuchen. Wir müssen unbedingt künftig schauen, die subjektiven Komponenten mit zu berücksichtigen. Die meisten Modelle in der Literatur fokussieren sich auf Gruppenzugehörigkeit, also auf die objektive soziale Einbindung“, so Alexander Langenkamp.

Benutzt haben die beiden Soziologen für ihr Paper umfassende Daten des European Social Survey, die auf einer im zweijährigen Turnus erhobenen, europaweiten Umfrage beruhen. Die Fragen seien jedoch sehr allgemein gehalten, hier seien für das Thema soziale Zugehörigkeit und Populismus unbedingt tiefergehende Datenerhebungen notwendig. „Wir würden uns freuen, wenn auf Grundlage unserer Vorarbeiten und Hypothesen weitere Forschung zum Thema stattfinden würde“, betonen die beiden.

Dirk Frank

Alexander Langenkamp und Simon Bienstman
Populism and Layers of Social Belonging: Support of Populist Parties in Europe
erschienen in: Political Psychology, 10. April 2022, https://doi.org/10.1111/pops.12827

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