Für ihre Dissertation zu Kolonialpädagogischen Schriften in der NS-Zeit wurde die Politologin und Erziehungswissenschaftlerin Z. Ece Kaya ausgezeichnet.
Dr. Z. Ece Kaya, 1978 in Istanbul geboren, ist u. a. Diplom-Politologin und promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Erziehungswissenschaften in der NS-Zeit sowie pädagogische Antworten auf Rassismus und Nationalismus. Sie arbeitet auch als Übersetzerin, Sprachlehrerin und als Theaterpädagogin. Für ihre Dissertation »Kolonialpädagogische Schriften in der NS-Zeit: ,Eine spezifisch deutsche Theorie der Kolonisation‘ – Zur Geschichte des Kolonialrassismus in der deutschen Erziehungswissenschaft « wurde sie 2017 mit dem Werner-Pünder- Preis ausgezeichnet.
Frau Dr. Kaya, wie sind Sie auf das Thema Kolonialrassismus gestoßen, gab es dafür einen aktuellen Anlass oder eine politische Debatte?
Ich bin ursprünglich Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen und mein Forschungsinteresse für die Promotion galt zunächst der politischen Bildung zu den geflüchteten Menschen in Deutschland und Europa und der Medienberichterstattung im Rahmen der Debatte um die sogenannte „Festung Europa“. Dass dieses Thema ohne einen detaillierten Blick auf den historischen Hintergrund des Kolonialismus nicht bearbeitet werden konnte, war mir schon klar. Als ich aber das Thema in Verbindung mit meiner Tätigkeit in der Forschungsstelle NS-Pädagogik eingrenzen wollte, sah ich, dass es sehr wenige Untersuchungen zum Thema deutscher Kolonialrassismus und deutsche Kolonialpädagogik gab, obwohl viele vor allem geschichtswissenschaftlichen Forschungen zum Thema Kolonial- erziehung in deutsch-kolonialen Kontexten eine besondere Rolle zuschreiben. Dass die deutsche Erziehungswissenschaft erst in der NS-Zeit versuchte, eine kolonialpädagogische Theorie zu entwickeln, war mir in diesem Sinne anfangs meiner Recherche zur Rolle des Kolonialrassismus in der deutschen Erziehungswissenschaft auch neu. Einerseits wollte ich in meiner Arbeit diese Forschungslücke schließen, andererseits wurde mir durch die Analyse dieser kolonialpädagogischen Schriften bewusst, dass kolonialrassistische Denkfiguren gegenwärtig vielfache Kontinuitäten vor allem im Kontext von Kultur und Bildung aufweisen, wenn man etwa an die Debatte um die „Leitkultur“ oder um die Kultur des sogenannten „Abendlandes“ denkt.
Was ist neu in der Beschreibung und in der Analyse des Phänomens des Kolonialrassismus in der deutschen Erziehungswissenschaft; wie und in welchem Kontext sah die Forschung bisher diese Schriften?
In der deutschen Erziehungswissenschaft wurde sich bisher vor allem auf die deutsche Missions- und Kolonialpädagogik in der tatsächlichen Kolonialzeit (1884 –1914) fokussiert. Sowohl sehr gute Dokumentensammlungen zu dieser Zeit als auch detaillierte historische Darstellungen und Analysen zu brutalen kolonialrassistischen Praktiken deutscher Kolonialherren existieren bereits. Die Bochumer Erziehungswissenschaftlerin Christel Adick macht beispielsweise darauf aufmerksam, dass auch die pädagogischen Anteile in der kolonialen Arbeitserziehung analysiert werden müssten, um mit Adicks Worten „dysfunktionale Auswirkungen“ der Kolonialerziehung miteinbeziehen zu können. Sie bezeichnet die Erforschung der Kolonialpädagogik als „ein ideales Feld der Selbstreflexion“ und auch relevant für die antirassistische Bildungsarbeit. Bis in den 70er Jahren war aber sogar von vermeintlichen „erfolgreichen Methoden der deutschen Kolonialpädagogik“ (Hermann Röhrs) die Rede, wenn man über die sogenannten Bildungsprobleme in Afrika schrieb. Die Erforschung der NS-Zeit in Bezug auf Kolonialrassismus blieb zudem in der deutschen Erziehungswissenschaft bisher am Rande, auch aus dem Grund, dass Deutschland zu dieser Zeit keine Kolonien in Afrika mehr hatte, obwohl rassistische Kolonialpropaganda auch vom NS-Regime u. a. im pädagogischen Bereich durch Kolonialausstellungen, Lesehefte des Nationalsozialistischen Lehrerbundes usw. weiterhin durchgeführt wurde. Die Analyse der erziehungswissenschaftlichen Schriften in der NS-Zeit zum Thema Kolonisation in Afrika zeigte jedoch, dass der heute vielfach diskutierte Zusammenhang zwischen dem deutschen Kolonialrassismus bzw. dem Völkermord an Herero und Nama in den Jahren 1904 – 1907 durch die deutschen Kolonisatoren und dem NS-spezifischen Rassismus auch im erziehungswissenschaftlichen Bereich vorhanden war. Die analysierten Schriften stimmten mit der allgemeinen NS-Ideologie trotz einiger realpolitischen Interessenkonflikte völlig überein, vor allem in der Propaganda gegen die sogenannte „Rassenmischung“ bzw. für „Volkstumserhaltung“, aber auch in der rassistisch begründeten Kritik an anderen europäischen Kolonialmächten. Sie propagierten nationalistisch eine „spezifisch deutsche“ Kolonialtheorie sowie eine erneute deutsche Kolonisation in Afrika unter NS-Herrschaft, verharmlosten die eigenen Kolonialverbrechen als „gelegentliche Missgriffe“ und beschrieben die NS-Ideologie als „unsere Auffassung“. In diesem Sinne legitimierten sie indirekt auch die gleichzeitig stattfindenden NS-Verbrechen in Deutschland und Europa.
Wo lag nach den Nazi-Autoren das Besondere deutscher Erziehungsmethoden, in Abgrenzung von französischen und britischen Methoden?
Die NS-Kolonialpädagogen behaupteten, dass „Afrika als Vorfeld nur und unbedingt zu Europa [gehöre]“, aber dass „dem deutschen Menschen das Erziehertum an fremden Rassen und Völkern tiefer im Blute […] als den Angehörigen anderer kolonisierender Nationen“ liege. Nur die deutschen Kolonialherren seien in der Lage, die sogenannte „Eigenart“ der Kolonisierten zu erhalten und den „tüchtigen Vollafrikaner“ zu erziehen – im Gegensatz etwa zum „Schwarzen Franzosen“. Die französische Assimilationspolitik sei ein „Verrat der weißen Rasse“. Polemisiert wurde auch gegen die englische Adaptationspolitik als eine „Doppelzüngigkeit“, hauptsächlich weil sie in ihren Kolonien europäische Bildungsmethoden einsetzten und in diesen Kolonialschulen zum Teil europäische Sprachen lehrten. Europäische Kultureinflüsse wurden von deutschen Kolonialpädagogen als eine die europäische Vorherrschaft in Afrika gefährdende „Zivilisationsflut” und als ein unlösbares pädagogisches Problem dargestellt. Zudem wurde die Kolonisation als ein „Ringen um Macht“ und als ein „Kampf der Rassengegensätze“ verstanden.
Sehen Sie als Wissenschaftlerin die Gefahr, dass angesichts einer erstarkenden Rechten in Europa rassistische und kolonialistische Ideen auch in Politik und Pädagogik wieder salonfähig werden könnten?
Ja, die Gefahr besteht leider vor allem darin, dass die Begegnung zwischen Kulturen immer wieder ganz im kolonialrassistischen Sinne als ein Zusammenprall, als eine Bedrohung für die Gesellschaft und die eigene Kultur als allen anderen überlegen dargestellt wird. Dass solche Begriffe wie „Abendland“ und „Überfremdung“ von den Neonazis ganz offen propagandistisch eingesetzt werden, beweist zudem, dass die Debatte um die (deutsche/europäische) „Kultur“ – mit Adorno gesprochen – in der faschistischen Ideologie nach Diskreditierung des Rasse-Begriffs in der Nachkriegszeit immer noch als „bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch“ fungiert. Es kann beobachtet werden, dass die vor allem gegen Menschen mit Migrationshintergrund bzw. gegen geflüchtete Menschen durchgeführte rassistische Propaganda in diesem Sinne eine besondere Rolle bei den letzten Wahlerfolgen der die Nazi-Zeit verharmlosend oder gar rechtfertigenden AFD spielte. Dies zeigt, dass rassistisch-kolonialistische Denkfiguren und Argumentationsstrategien keinesfalls zur Geschichte gehören und in der Gesellschaft offensichtlich eine Resonanz finden und aber auch, dass eine emanzipatorisch- kritische Erziehungswissenschaft wie andere demokratische Kräfte auch die Aufgabe hat, gegen Rassismus und Nationalismus Gegendiskurse zu formulieren.
Sind Sie als türkisch(stämmig)e Wissenschaftlerin besonders sensibilisiert für staatliche Einmischungen in pädagogische Fragen?
Ich bin in der Türkei geboren, groß geworden und habe auch dort zunächst studiert. Heute habe ich die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber ich sehe genau hin, was in der Türkei passiert, das ist klar. Eine demokratische Unterstützung der Bildungsinstitutionen durch den Staat bzw. durch die Staaten könnte im allgemeinen Sinne vielleicht nützlich sein. In der Türkei passiert das Gegenteil. Dort geht es aktuell verstärkt um die undemokratische Bestimmung der Lehrinhalte an Universitäten und Schulen. Die Freiheit der Wissenschaft steht eher auf dem Papier, wie die Festnahmen und Verhaftungen vieler oppositioneller Akademikerinnen und Akademiker, vieler Lehrkräfte an den Schulen zeigt, die ihre Stellen sowie ihren Beamtenstatus verlieren. Gefängnisse füllen sich mit demokratisch aktiven Menschen. Dies ist meiner Meinung nach ein weiterer Grund dafür, dass die internationale Solidarität und Zusammenarbeit – übrigens nicht nur mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Türkei – verstärkt unterstützt werden sollte.
Die Fragen stellte Dr. Dirk Frank
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 6.17 (PDF-Download) des UniReport erschienen.