Neue Therapieansätze für komplexe Krankheiten entwickeln: Die Initiative EMTHERA bewirbt sich als Exzellenzcluster.
Bei schweren SARS-CoV-2-Infektionen war in den vergangenen Jahren besonders der sogenannte Zytokinsturm gefürchtet. Dabei reagiert das Immunsystems extrem stark auf das Virus und setzt ungebremste Kaskaden an Botenstoffen frei, die massive Entzündungsreaktionen im ganzen Körper hervorrufen: Die Regelmechanismen des Immunsystems versagen, es gerät aus dem Gleichgewicht. Unser Körper verfügt über eine riesige Menge solcher Regelmechanismen, damit die vielen verschiedenen Funktionen der Körperzellen und auch ihre Erneuerung gewährleistet werden können: Das Kommunikationsnetzwerk des Körpers ist gewaltig. All dies dient dazu, Stabilität im Körper als Ganzem und in den einzelnen Zellen zu erhalten. Wissenschaftler*innen sprechen von der Homöostase, dem inneren Gleichgewicht des Organismus und der einzelnen Zelle.
Dieses Gleichgewicht ist nicht statisch, denn die Umgebung des menschlichen Körpers ändert sich fortwährend, oder Störungen treten in Form von Krankheitserregern auf. Entsprechend steht auch die einzelne Zelle in stetem Austausch mit ihrer Umgebung, durch die Aufnahme und Abgabe von Nährstoffen, Sauerstoff und Kohlendioxid und durch das Senden und Empfangen zahlloser Signale in Form von Botenstoffen.
Gelingt es der Zelle nicht, ihre Homöostase aufrechtzuerhalten, so sind die Folgen gravierend: Fehlende Kontrolle der Zellteilung etwa ist eine Ursache für Krebs. Falsch gefaltete Proteine, die innerhalb der Zelle nicht entsorgt werden und sich anreichern, spielen eine zentrale Rolle bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz, Morbus Parkinson und Amyotropher Lateralsklerose. Gerät das Immunsystem aus der Balance, können Autoimmunerkrankungen mit chronischen Entzündungen oder sogar – wie bei SARS-CoV-2 – ein lebensbedrohlicher Zytokinsturm die Folge sein.
Was sorgt für die Homöostase im Körper?
Der Forschungsverbund EMTHERA wird die Krankheitsmechanismen untersuchen, die solchen systemischen Erkrankungen an der Schnittstelle von Infektion, Entzündung und Immunität zugrunde liegen. Prof. Ivan Ðiki’c, Sprecher von EMTHERA, erklärt: „Unser übergreifendes Ziel ist es, die Mechanismen zu verstehen, die den Körper als Ganzes, die Organe und die einzelnen Zellen im Gleichgewicht, also in Homöostase, halten, damit Stoffwechsel und Organerneuerungen gemanagt sowie äußere Störungen etwa durch Infektionserreger ausgeglichen werden können.“
Dazu wollen die Forscher*innen im Detail herausfinden, wie Erreger und menschlicher „Wirt“ im Laufe einer Infektion miteinander wechselwirken. Ein Schwerpunkt dieses EMTHERA-Forschungsprogramms liegt dabei zum einen auf RNA-Viren wie SARSCoV-2 und dem Verlauf der Immunreaktion, wenn gleichzeitig ein weiteres Virus wie das Influenzavirus den Wirt infiziert. Neuartige Virostatika zur Bekämpfung der Infektionen könnten hier Substanzen sein, die zum Beispiel Virusbestandteile dem zellulären Protein-Schredder-System zuführen, das die Zelle natürlicherweise zum Recycling nicht mehr benötigter oder fehlerhafter Proteine vorhält. Weiterhin geht es um die Untersuchung krankheitserregender Bakterien, die häufig auch als Krankenhauskeime bezeichnet werden. Hier entwickeln die Wissenschaftler*innen neuartige Therapien, die Bestandteile sogenannter Phagen nutzen werden, also von Viren, die natürlicherweise Bakterien befallen. Auch die Alterung des Immunsystems und wie diese die Widerstandskraft des Körpers gegen Erreger schwächt, und wie hier das Zusammenspiel zwischen Darm und Darmbakterien und dem Immunsystem die Widerstandsfähigkeit gegenüber den Eindringlingen beeinflusst.
Dämpfung des chronischen Entzündungsgeschehens
Ein weiteres EMTHERA-Forschungsprogramm befasst sich mit chronischen Entzündungen, die als Folge einer lokalen Infektion entstehen und sich auf entfernten Körperorganen ausbreiten und dort verstetigen. Hier stehen Leber und Knochenmark im Fokus, die die Signale für Entzündungen verstärken und so die Chronifizierung der Entzündungen aufrechterhalten. Therapeutisch wollen die Wissenschaftler*innen Strategien entwickeln, die spezifisch in den betroffenen Geweben und Organen das überaktive Entzündungsgeschehen dämpfen. Auch hier spielt die Kommunikation von den Darmbakterien mit der Leber eine wichtige Rolle. Das Ziel sind Therapien, die die Homöostase von Zellen und Organen wiederherstellen.
Dieses Ziel verfolgt auch das dritte EMTHERA-Forschungsprogramm, das untersucht, inwieweit sich das Immunsystem „umprogrammieren“ lässt, sodass nicht nur die Ausbreitung von Entzündungen auf den ganzen Körper gestoppt werden kann, sondern auch die heilenden Kräfte des Immunsystem genutzt werden können. Denn das Immunsystem ist in der Lage, durch Viren oder Bakterien geschädigtes Gewebe zu regenerieren. Therapeutisch werden hier Technologien getestet, die gezielt krankheitsrelevante Proteine abbauen oder die mit RNA-Wirkstoffen oder Nanopartikeln arbeiten.
Neben den drei Forschungsprogrammen untersuchen EMTHERA-Forscher*innen auch übergreifende Fragestellungen, etwa dazu, in welcher pharmazeutischen Form Substanzen verabreicht werden können, damit sie im gewünschten Organ oder in der Zielzelle des Körpers ihre Wirkung entfalten. Nanotechnologie gehört ebenso dazu wie die computergestützte Biomedizin. Thema eines kommunikationswissenschaftlichen Projekts ist ferner die Verbesserung der öffentlichen Akzeptanz gegenüber neuen Therapien.
EMTHERA-Co-Sprecherin Prof. Özlem Türeci ist überzeugt: „Das komplexe Geschehen bei Entzündungen und Infektionen können wir nur durch große, interdisziplinäre Teams aufschlüsseln: Wenn wir zusammenarbeiten, vervielfachen wir die Kraft der Wissenschaft. Der Erfolg der mRNA-basierten COVID-Impfstoffe beweist, wie Plattformtechnologien intelligent eingesetzt werden können, um das Unmögliche möglich zu machen.
Website: https://emthera.de/
Auf geht’s: Goethe-Universität beteiligt sich mit vier neuen und einem bestehenden Forschungscluster am Wettbewerb der Exzellenzstrategie
Für die anstehende Runde der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder bewirbt sich die Goethe-Universität Frankfurt mit vier neuen Clustern zu den Forschungsthemen Vertrauen im Konflikt (CONTRUST), Infektion und Entzündung (EMTHERA), Ursprung der schweren Elemente (ELEMENTS) und zelluläre Architekturen (SCALE). Die Anträge vereinen die Kompetenzen und zukunftsweisenden Ideen der Goethe-Universität mit denen der Kolleg*innen des Verbunds der Rhein-Main-Universitäten (RMU) und weiterer Partner der vier großen Organisationen der außeruniversitären Forschung. Der seit 2019 bestehende Exzellenzcluster Cardiopulmonary Institute (CPI) wird im kommenden Jahr direkt einen Vollantrag einreichen.
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