Was hilft im Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Ein Rückblick auf die Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur 2022

Der Forschung von Kardiologen wie etwa Joseph C. Wu, Professor an der kalifornischen Stanford-Universität, ist es zu verdanken, dass die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt von ehemals 15 Prozent auf nur noch 2 bis 3 Prozent gesunken ist. Auf Einladung der Friedrich-Merz-Stiftungsgastprofessur besuchte Wu, Präsident der »American Heart Association« und derzeit einer der prominentesten Herz-Forscher, für eine Woche die Goethe-Universität, um sich sowohl mit Forschenden als auch mit Studierenden auszutauschen. In einem Bürgergespräch stellte er sich außerdem den Fragen der Frankfurter Bevölkerung, unter anderem zusammen mit Stefanie Dimmeler, Sprecherin des »Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Erkrankungen« und Leiterin des Exzellenzclusters »Cardio-Pulmonary Institute«.

Joseph C. Wu, Präsident der »American Heart Association«, und Stefanie Dimmeler, Sprecherin des »Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Erkrankungen« und Leiterin des Exzellenzclusters »Cardio-Pulmonary Institute«

UniReport: Frau Prof. Dimmeler, welches sind die wichtigsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Stefanie Dimmeler: Dies sind „Kardiomyopathien“, also Erkrankungen des Herzmuskels, die häufig angeboren, also genetisch bedingt sind, und mit mechanischen oder elektrischen Funktionsstörungen einhergehen. Zudem können Kardiomyopathien durch eine Infektion des Herzmuskels entstehen. Bei den erworbenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist das prominenteste Beispiel wohl der Herzinfarkt. Dabei wird das Herz zeitweise nicht durchblutet, so dass Herzmuskelgewebe abstirbt, was letztlich zu einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz) führt. Eine Schädigung des Herzens kann auch durch Klappenerkrankungen verursacht werden. Schließlich kann auch das Alter zusammen mit Risikofaktoren wie zum Beispiel Diabetes dazu führen, dass sich im Herzen immer mehr Bindegewebe anreichert, wodurch das Herz an Elastizität verliert. Es kann sich dann zwar noch zusammenziehen, aber danach nicht wieder entspannen und damit weniger Blut aufnehmen. Das wiederum hat zur Folge, dass weniger Blut aus dem Herzen gepumpt wird und dass damit sämtliche Organe des Körpers schlechter mit Blut versorgt werden und ihre Funktion nicht mehr richtig erfüllen können.

Wie können Herz-Kreislauf-Erkrankungen prinzipiell therapiert werden?

Es gibt mittlerweile ein umfangreiches Spektrum an Medikamenten und interventionelle Katheter-basierte oder operative Verfahren. Unter den Medikamenten sind pharmakologische Substanzen, wie zum Beispiel Statine (und andere Cholesterinsenker), Betablocker und ACE-Hemmer (ACE = Angiotensin-konvertierendes Enzym) die bekanntesten. Neu ist zudem ein sogenannter SGLT2-Hemmer, der ursprünglich zur Diabetes-Behandlung entwickelt und zugelassen wurde; quasi als Zufallsbefund wurde dann entdeckt, dass sie sich zur Behandlung von Herz- und von Niereninsuffizienz eignet.

Abgesehen davon haben sich minimalinvasive Verfahren etabliert mit denen unter anderem verschlossene Gefäße wieder geöffnet werden können. Hierzu führt man einen dünnen Schlauch durch eine Arm-Arterie bis zum Herzen und beseitigt Verstopfungen in den Blutgefäßen durch die Implantation von Stents, also einer Gefäßprothese. Auch Herzklappen können mittlerweile mit Katheter-basierten Verfahren ersetzt werden. Besonders bei alten oder vorbelasteten Patienten, für die eine Operation am Herzen ein hohes Risiko bedeutet, stellt das eine großartige Möglichkeit dar.

Kann man das Herz wirklich erneuern?

Die meisten bisherigen Therapien zielen darauf ab schädigende Einflüsse zu reduzieren und die Weiterentwicklung der Erkrankung zu verringern, zum Beispiel, indem verhindert wird, dass Cholesterin weiter die Gefäße schädigt oder dass noch mehr Bindegewebe im Herzen abgelagert wird. Eine wirkliche Erneuerung ist aktuell nur durch den Ersatz von Teilen des Herzens, wie zum Beispiele der Herzklappen, oder der Transplantation des Herzens möglich. Daher ist das Ziel der aktuellen Forschung Strategien zu entwickeln wie neues Herzmuskelgewebe mit gesunden Herzmuskelzellen, den Gefäßen und intaktem Bindegewebe entwickelt werden kann.

Was können Stammzellen zum Kampf gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen beitragen?

Stammzellen können zur Diagnose oder Therapie benutzt werden. Ein Beispiel für die Diagnose ist die Ursachenforschung von Kardiomyopathien: Hierzu werden Zellen aus dem Blut oder der Haut des Patienten zunächst in Stammzellen verwandelt (sogenannte „induzierbare pluripotente Stammzellen (iPS)). Diese Stammzellen werden dann in der Petrischale im Labor in körpereigenes Herzgewebe weiterentwickelt. Mit diesem künstlich hergestellten Herzgewebe kann dann untersucht werden welche Defekte vorliegen. Besonders bei genetisch bedingten Ursachen von Kardiomyopathien können die molekularen Ursachen genau identifiziert werden. Diese neuen Verfahren sind deswegen so hilfreich, da wir ansonsten nicht ohne weiteres an Herzgewebe kommen: Im Gegensatz zum Beispiel zu Tumorgewebe, das ja operativ entfernt wird, können wir schließlich nicht einfach ein Stück des Herzens entnehmen.

Die aus Stammzellen entwickelten Herzgewebe werden zudem – allerdings noch in Testversuchen – zusätzlich als Gewebeersatz genutzt. Hierzu werden größere Stücke Herzgewebe gezüchtet, die dann zum Beispiel als eine Art Pflaster auf das Herz genäht werden können. Idealerweise übernehmen die Ersatz-Herzgewebe die Aufgabe der defekten Regionen des Herzens, so dass das kranke Organ wieder arbeiten kann.

Welche Schwierigkeiten oder Nachteile sind mit der Stammzell-Therapie verbunden?

Ein „Herzpflaster“ ist natürlich immer nur ein Behelf, und die Schwierigkeit ist es, die Interaktion des neuen Gewebes mit dem Herz selbst zu ermöglichen, damit ein synchronisiertes Schlagen der Herzmuskelzellen erfolgen kann. Idealerweise würde eine Integration von neuen Zellen direkt im Herzgewebe erfolgen und gleichzeitig die Umgebung der Herzmuskelzellen „verjüngt“ werden, so dass eine wirkliche endogene Regeneration des Herzmuskelgewebes mit neuen Gefäßen und gesunder Mikro-Umgebung erfolgen kann.

Welchen Forschungsansatz zur Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verfolgen Sie hier an der Goethe-Universität?

Wir verwenden kleine RNA-Stücke, die nicht in Proteine übersetzt werden, sogenannte micro-RNAs und versuchen, mit diesen micro-RNAs die Reparatur, wenn möglich sogar die Regeneration eines geschädigten Herzens zu stimulieren. Dabei konzentrieren wir uns insbesondere auf das sogenannte Altersherz, in dem Bindegewebs-, Gefäß- und Herzmuskelzellen nicht mehr richtig interagieren. Unser Ziel ist es, die molekularen Schalter umzulegen, die dort nicht mehr funktionieren. Außerdem forschen wir in unserem Exzellenz-Cluster, dem „Cardio-Pulmonary Institute“, zusammen mit der Universität Gießen und dem Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung Bad Nauheim an anderen regenerativen Verfahren. Dabei versuchen wir auch von regenerativen Modellorganismen wie dem Zebrafisch zu lernen. Zebrafische können das Herz komplett regenerieren, selbst wenn man ein Stück des Herzen wegschneidet. Wir wollen herausfinden, wie das funktioniert, damit wir diese Regenerations-Mechanismen vielleicht irgendwann auch beim Menschen anwenden können.

Inwiefern hat die Goethe-Universität davon profitiert, dass Joseph C. Wu von der Friedrich-Merz-Stiftungsprofessur für eine Woche nach Frankfurt eingeladen wurde?

Wir hatten am Cardio-Pulmonary Institute die Möglichkeit, viele wissenschaftliche Themen im Detail zu besprechen und gemeinsam über neue Entwicklungen nachzudenken. Professor Wu arbeitet an der Nutzung von Stammzellen in der Diagnostik und Therapie, was uns spannende Einblicke eröffnet hat. Er hat auch eine klinische Erstanwendung mit aus Stammzellen gezüchteten Herzgeweben am Patienten gestartet.

Neben der wissenschaftlichen Diskussion war besonders eindrucksvoll und wichtig, dass Professor Wu Zeit mit unseren Studierenden zugebracht hat. Diese hatten während der COVID-Pandemie kaum internationalen Austausch und haben die Möglichkeit sichtlich genossen, mit einem solch hochkarätigen Wissenschaftler und Arzt zu sprechen. Er hat ihnen nicht nur in einer sehr schönen Vorlesung einen Überblick über die letzten 15-20 Jahre kardio-vaskulärer Forschung gegeben, sondern er hat mit ihnen auch über Karriereperspektiven und über die Forschung im Ausland diskutiert. Dementsprechend gut waren seine Veranstaltungen besucht, sowohl die wissenschaftlichen Seminare als auch der Unterricht für die Studierenden. Wir sind der Friedrich-Merz-Stiftung sehr dankbar, dass sie Joseph Wus Besuch an der Goethe-Universität möglich gemacht hat.

Fragen: Stefanie Hense

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