»Wir können die Impfskepsis nicht nachvollziehen«

Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz (links) ist Professor für Pharmazeutische Chemie und Vizepräsident für Third Mission an der Goethe-Universität. Er ist unter anderem seit 2003 Wissenschaftlicher Leiter des Zentrallaboratoriums Deutscher Apotheker und zusammen mit Theo Dingermann Mitglied der Chefredaktion der Pharmazeutischen Zeitung.

Prof. Dr. Theo Dingermann (rechts) ist emeritierter Professor für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität; er ist unter anderem Senior Editor der Pharmazeutischen Zeitung (PZ).

Die Pharmazeuten Theo Dingermann und Manfred Schubert-Zsilavecz
sprechen im Interview über die Corona-Impfstoffe und mögliche Nebenwirkungen.

UniReport: Herr Professor Dingermann, Herr Professor Schubert-Zsilavecz,in Deutschland werden bereits die Vakzine von BioNtech/Pfizer und Moderna verabreicht. Sind die Impfstoffe gleichwertig? Und was weiß man über AstraZeneca, das kürzlich von der EU auch zugelassen wurde

Theo Dingermann/Manfred Schubert-Zsilavecz: Die Impfstoffe sind nicht gleich. Sie sind aber als gleichwertig einzustufen. Hingegen gehört der AstraZeneca-Impfstoff zu einer ganz anderen Klasse, die man separat beurteilen müsste. Unter anderem zeigt dieser Impfstoff eine Wirksamkeit von gut 60 Prozent, wohingegen die beiden anderen Impfstoffe bis zu 95 Prozent wirksam sind.

Kann man etwas über mögliche Nebenwirkungen der Impfungen sagen? Gibt es überhaupt so etwas wie »Langzeitnebenwirkungen«?

Die Nebenwirkungen sind gut bekannt und werden darüber hinaus laufend dokumentiert und von den Zulassungsbehörden bewertet. Sehr seltene Nebenwirkungen wird man wohl erst später entdecken, falls es solche überhaupt gibt. Ob es Langzeitnebenwirkungen gibt, ist strittig. Nach Einschätzung vieler Experten zeigen sich Nebenwirkungen in der Regel unmittelbar nach der Impfung, also innerhalb weniger Stunden bzw. Tage oder eben gar nicht. Mit Blick auf die gesicherten und zum Teil erheblichen Spätfolgen einer COVID-19-Erkrankung (Post-COVIDSyndrom) ist das Risiko für Langzeitnebenwirkungen durch Impfungen vertretbar.

Viele fragen sich, ob man sich trotz einer Impfung mit dem Corona-Virus infizieren kann. Oder zumindest andere infizieren kann. Wie würden Sie die Risiken einschätzen, was weiß man darüber?

Das ist eine noch unbeantwortete Frage, da darauf im Rahmen der klinischen Prüfungen nicht getestet wurde. Es besteht die Möglichkeit, dass die Impfstoffe (und das gilt für alle) nicht vor einer Infektion schützen. Klar ist aber, dass der Impfschutz darin besteht, dass man nicht schwer erkrankt, auch wenn man infiziert wird. Spannend ist die Frage, ob man denn wenigstens nicht infektiös ist. Im Fachjargon wird dieser Zustand als sterile Immunität bezeichnet. Auch auf diese Frage gibt es momentan keine Antwort. Diese Frage ist deshalb relevant, da eine Infektiösität Geimpfter ziemlich stark mit der angestrebten Herdenimmunität interferieren dürfte. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Geimpfte – und von der Krankheit Genesene – die AHA-Regeln auch weiterhin konsequent beachten.

Diskutiert wird in Deutschland über eine mögliche Impfpflicht für Pflegekräfte und medizinisches Personal. Können Sie die Impfskepsis mancher Menschen nachvollziehen?

Wir können die Impfskepsis nicht nachvollziehen. Denn die Alternative zum Impfen ist die Infektion, die man auf lange Sicht wohl nicht verhindern kann. Wer sich entschließt, sich nicht impfen zu lassen, sollte sich die Risiken einer COVID-19-Erkrankung und deren Folgen sehr genau vor Augen führen.

Viele Sorgen beziehen sich auf die sogenannten Mutanten des Corona-Virus, wie B.1.1.7, das sich rasant in Großbritannien ausbreitet. Sind diese Sorgen berechtigt? Besteht die Gefahr, dass die bereits vorliegenden oder gerade in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe dagegen nicht wirken?

Die Sorgen sind vor allem unter epidemiologischen Aspekten berechtigt. Andere potenzielle Probleme, zum Beispiel ein schwerer Krankheitsverlauf oder ein Nichtansprechen der Impfstoffe, scheinen bei dieser englischen Variante nicht einzutreten. In dieser Hinsicht scheinen die südafrikanische und brasilianische Variante deutlich kritischer zu sein. Wie sich bereits jetzt zeigt, schützen die zur Verfügung stehenden Impfstoffe teils deutlich schlechter vor diesen Varianten. Dies gilt auch für den Immunschutz, den Genesene während der Krankheit aufgebaut haben.

Neben Impfstoffen werden auch Wirkstoffe zur Therapie von Corona entwickelt. Wie sieht es da aus, wann ist damit zu rechnen? Bereits seit letztem Jahr wird zum Beispiel in den USA das Medikament Remdesivir eingesetzt, Präsident Trump soll es auch bekommen haben.

Remdesivir ist tatsächlich einer der wenigen auch in Deutschland zugelassenen Arzneistoffe zur Behandlung von schwer erkrankten COVID-19-Patienten. Allerdings ist die Wirksamkeit dieses Arzneistoffes sehr umstritten, weshalb sich die WHO gegen einen Einsatz ausspricht. Ungeachtet dessen kommen wir im Bereich der Wirkstoffentwicklung langsam aber sicher voran, weshalb wir die therapeutischen Durchbrüche für Ende dieses Jahres bzw. Anfang nächsten Jahres erwarten. Viele interessante Entwicklungen befinden sich bereits in der vorletzten Stufe der klinischen Entwicklung (Phase II).

Wie könnte sich die Welt künftig besser gegen neue Pandemien schützen, welche Vorbereitungen könnten Behörden und Pharmaunternehmen vorab treffen, um Impfstoffe schneller zu produzieren? Fehlen in Deutschland bislang wissenschaftliche Einrichtungen, um neue Viren zu sequenzieren?

Im Vorfeld einer neuen Pandemie einen Impfstoff zu entwickeln, ist nicht möglich. Man kann aber die Technologien so standardisieren, dass auf dieser Basis bereits eine Teilzulassung möglich ist. Da gibt es Erfahrungen. Wichtiger wäre jedoch, Pandemiepläne zu erarbeiten, anzupassen und diese auch ernst zu nehmen. Dass zu Beginn der Pandemie nicht ausreichend Schutzausrüstung für Pflegepersonal und Ärzte verfügbar war, ist ein eklatantes Versäumnis der Politik.

Die seit November geltenden Maßnahmen des Lockdowns haben bislang (zu) wenig Wirkung entfaltet. Sehen Sie da Versäumnisse, hätte man zum Beispiel die Kontaktbeschränkungen strenger gestalten sollen?

Man ist zu ungeduldig. Wir sehen schon, dass die Maßnahmen greifen. Ob sie ausreichen, wird man abwarten müssen. In diesem Zusammenhang Wissenschaftler zu Rate zu ziehen, die Modelle des Epidemieverlaufs abhängig von den jeweils getroffenen Maßnahmen rechnen, kann nur empfohlen werden.

Und bis wann rechnen Sie mit einer ausreichenden Durchimpfung der Bevölkerung in Deutschland? Rechnen Sie vor dem Hintergrund weiterer Verschärfungen mit einer baldigen Senkung der Inzidenzwerte, wann dürfen sich die Bürgerinnen und Bürger wieder auf Lockerungen freuen? Die Inzidenzwerte werden weiter fallen, wenn die angeordneten Maßnahmen konsequent befolgt werden. Sie werden aber auch wieder steigen, wenn man nach einer Lockerung zu leichtsinnig wird. Bis die Durchimpfung der Impfwilligen erreicht ist, wird es sicherlich noch bis zum Ende des 3. Quartals dauern. Wir befürchten, dass man bei der nach wie vor großen Impfskepsis eine umfassende Durchimpfung der Bevölkerung nur schwer erreichen wird.

Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1/2021 (PDF) des UniReport erschienen.

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