Gemeinsam schreiben

Dr. Nora Hoffmann, Leiterin des schreibZENTRUMs an der Goethe-Universität, über studentische Schreibgruppen

Die Einsamkeit des/der Schreibenden überwinden.

Dr. Nora Hoffmann, Foto: Peter Kiefer, Goethe-Universität Frankfurt
Dr. Nora Hoffmann, Foto: Peter Kiefer, Goethe-Universität Frankfurt

Eine Schreibgruppe ist genau das, was der Begriff ausdrückt: Eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam schreiben. Wenn man an die Tätigkeit des Schreibens denkt, kommen einem allerdings meist eher Bilder von Einzelpersonen mit Papier und Stift oder eben Laptop in den Kopf. Doch genau das ist der Clou einer Schreibgruppe – mit seinem Text nicht alleine zu sein, sondern in Gemeinschaft zu schreiben. Die Gruppe kann helfen, die Hemmschwelle zum Schreiben zu überwinden, sich über Texte, Schreibstrategien oder Schwierigkeiten auszutauschen, Tipps und Feedback von anderen zu bekommen, seine Zeit durch die festgelegten Treffen zu strukturieren, aber auch, seine Fortschritte zu teilen und sich gegenseitig Halt, Orientierung und Motivation zu geben, am Ball zu bleiben.

Gerade Studierende erleben das Schreiben meist als besonders einsam, denn es findet oft dann statt, wenn der Semestertrubel und die Einbindung in die Gemeinschaft am Campus unterbrochen oder ganz vorüber sind: Hausarbeiten in der vorlesungsfreien Zeit; Abschlussarbeiten nach dem Besuch aller benötigten Lehrveranstaltungen. Betreuende Lehrende bleiben dann zwar offiziell Ansprechpartner*innen, doch ein vertraulicher Austausch auf Augenhöhe mit Kommiliton*innen ist in dieser Zeit erschwert. Gisbert Keseling hat 2004 in einem Band mit dem bezeichnenden Titel „Die Einsamkeit des Schreibers“ einige Schreibschwierigkeiten Studierender auf diese Isolation zurückgeführt. Sie hemmt; Schreibblockaden wirken unüberwindbar; es fehlt ein Gegenüber zum Reden über den eigenen Text. Besonders bei umfangreichen Textprojekten wie Abschlussarbeiten, die sich über mehrere Monate erstrecken, und bei denen neben dem eigentlichen Schreibprojekt die noch ungewisse Zukunft zusätzliche Herausforderung mit sich bringt, fehlt vielen Studierenden dieser Austausch.

So simpel und selbstverständlich das Konzept von Schreibgruppen für Studierende daher klingt – im deutschen Hochschulkontext ist es noch recht jung. Während Schreibgruppen im US-amerikanischen Hochschulraum seit den 1960/70er Jahren verbreitet sind, wurde das Konzept offiziell erst 2007 durch Katrin Girgensohn in die deutsche Schreibzentrumsarbeit eingeführt. Ihre Studie beschrieb erstmals autonome Schreibgruppen im Hochschulkontext, die angebunden an ein Schreibseminar auf gegenseitige, selbstgesteuerte Unterstützung durch Peer-Learning zielten. Mittlerweile ist die Idee als Ergänzung zu weiteren Wegen der Schreibförderung (wie etwa curricular eingebundenen Propädeutika oder Zusatzangeboten wie Schreibworkshops und -beratung) auch im deutschen Hochschulraum angekommen: Schreibgruppen werden aktuell an 44 % der Schreibzentren angeboten.

Geleitete, offene und kreative Schreibgruppen an der Goethe-Universität

Eine Gruppe von Studierenden sitzt um einen Tisch und schreibt. Foto: Peter Kiefer, Goethe-Universität Frankfurt
Foto: Peter Kiefer, Goethe-Universität Frankfurt

Am Frankfurter Schreibzentrum gibt es verschiedene Arten von Schreibgruppen, von stärker geleiteten bis hin zu freieren Formaten; hauptsächlich zum akademischen Schreiben, aber auch zum kreativen: Für Studierende in der Abschlussphase gibt es jedes Semester eine alle 14 Tage in Präsenz stattfindende, von schreibdidaktisch ausgebildeten Tutor*innen moderierte Schreibgruppe für Abschlussarbeiten. Die Tutor*innen geben Inputs zum Umgang mit verschiedenen Phasen des Schreibprozesses, leiten Peer-Textfeedback-Methoden an und informieren über Gestaltungsmöglichkeiten von Schreibgruppen. Zwischen den Terminen treffen sich die Teilnehmenden eigenständig in Kleingruppen, um gemeinsam an ihren Abschlussarbeiten zu schreiben. Teilnehmende melden hierzu als positiv zurück: „Austausch auf Augenhöhe, Motivation aller Beteiligten“ oder auch: „Austauschmöglichkeiten, Wertschätzung des bereits Geleisteten, Trost, Aufzeigen von Perspektiven, Ehrlichkeit“. Als besonders wertvoll empfinden sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit, da sie durch die verschiedenen Außenperspektiven die eigenen Themen und Texte selbst mit neuem Blick betrachten und angehen können. In den Kleingruppen finden sich dann meistens Studierende mit ähnlichen Forschungsinteressen zusammen, um den Fokus wieder einzugrenzen, sodass für sie darin eine Art Vorstufe von Forschungsgemeinschaft erfahrbar wird.

Das englischsprachige Pendant zur Schreibgruppe für Abschlussarbeiten bildet die ähnlich organisierte Thesis Writers’ Group, die von einer Muttersprachlerin im Englischen geleitet wird, um zusätzlich den sprachlichen Aspekt zu stärken. Hier finden auch internationale Studierende aus englischsprachigen MA- und PhD-Programmen zusammen und kommen in den Austausch untereinander sowie mit inländischen Studierenden. Als Hauptgründe für die Teilnahme benennen viele die Solidarität und Unterstützung durch die Gemeinschaft. Häufig in der Gruppe angesprochene Themen sind neben dem Schreiben selbst auch dessen Rahmenbedingungen an der Hochschule: konkret beispielsweise der erlebte Druck in der Abschlussphase, die Suche nach Betreuenden oder die Kommunikation mit ihnen. Die Gruppe wird hierbei als „bulwark against the pressure and isolation of writing one’s thesis“ erlebt.

Im Gegensatz zu diesen beiden Gruppen für Studierende in der Abschlussphase ist die offene Schreibgruppe deutlich weniger stark angeleitet und unverbindlicher. Sie findet das gesamte Jahr hindurch, auch in der vorlesungsfreien Zeit, immer dienstags und donnerstags von 9 bis 13 Uhr digital per Zoom statt und wird vom Schreibzentrum in Kooperation mit der Akademie für Bildungsforschung und Lehrkräftebildung angeboten. Fokus ist das gemeinsame Schreiben im Zoom-Hauptraum und die dadurch entstehende Motivation, längere Schreibphasen durchzuhalten und sich nicht zu schnell ablenken zu lassen. Die Moderator*innen leiten auf klare Zielsetzungen hin fokussierte Schreibphasen von 50 Minuten an und achten auf das regelmäßige Einlegen kurzer Pausen. Im Chat können darüber hinaus Fragen gestellt werden. Bei Bedarf werden Breakout-Räume für Peer-Austausch oder Schreibberatungen durch Tutor*innen des Schreibzentrums geöffnet. Auch außerhalb der festen Zeiten können Studierende über den Discord-Kanal der offenen Schreibgruppe zum gemeinsamen Schreiben in Verbindung bleiben. Ein OLAT-Kurs bietet unterstützende Materialien zum Schreiben.

Sehr beliebt ist zudem die erst vor zwei Semestern ins Leben gerufene kreative Schreibgruppe. Die Treffen dieser durch einen Tutor*in des Schreibzentrums geleiteten Gruppe finden 14-tägig semesterbegleitend statt. Zu Beginn geben die Teilnehmenden jeweils Kurzinputs zu verschiedenen Aspekten kreativen Schreibens als Grundlage für Austausch und Diskussion, woran sich Schreibphasen anschließen. Zudem stellen Teilnehmende eigene Textprojekte vor und erhalten hierauf Feedback. Positive Rückmeldungen heben Inputs, Austausch und Feedback in offener Atmosphäre hervor und zeigen, dass die Gruppe auch eines ihrer heimlichen Ziele erreicht, die Motivation auch zum akademischen Schreiben: „Austausch, Methodenlernen, neue Motivation zum Schreiben – auch mehr Selbstbewusstsein für das Schreiben von akademischen Texten.“ Die Gruppe bietet zudem die Möglichkeit zur Vernetzung mit Gleichgesinnten über die Sitzungen hinaus, etwa über ein Forum im OLAT-Kurs, was die Teilnehmenden besonders wertschätzen.

Daneben bietet das Schreibzentrum Materialien, Beratung und Unterstützung für die Gründung und Organisation autonomer studentischer Schreibgruppen an. In einer Facebook-Gruppe können Interessierte zusammenfinden, doch besser klappt es häufig im direkten Kontakt. So bildeten sich schon mehrfach bei der Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten neue Schreibgruppen, sowohl unterstützt durch die dort offiziell angebotene Schreibgruppenbörse als auch ganz spontan. Die besondere Stärke dort gebildeter Schreibgruppen sehen die Teilnehmenden im Austausch mit Kommiliton*innen aus verschiedenen Fächern und Semestern und damit mit ganz unterschiedlichen Schreiberfahrungen.

An dieser Stelle möchten wir auch Lehrende herzlich dazu einladen, ihren Studierenden das Zusammenfinden in Schreibgruppen nahezulegen, sie hierüber (z.B. mithilfe unserer online bereit gestellten Materialien) zu informieren und sie bei der ersten Organisation zu unterstützen – gerne unter Mitwirkung des Schreibzentrums.

Dr. Nora Hoffmann ist als promovierte Literaturwissenschaftlerin seit 2012 in der Schreibdidaktik tätig und leitet das Schreibzentrum an der Goethe-Universität seit 2018.

Vom Schreibzentrum organisierte Schreibgruppen und Unterstützung für autonome Schreibgruppen:

Moderierte Schreibgruppe für Abschlussarbeiten (semesterbegleitend 14-tägig)

Thesis Writers’ Group (semesterbegleitend 14-tägig)

Offene Schreibgruppe

Kreative Schreibgruppe

Unterstützung für autonome Schreibgruppen

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