Mit 1968 scheint die Befreiung des Individuums von gesellschaftlichen Konventionen, familiären Bindungen und Ressentiments gegen autoritäre Strukturen einen historischen Schub erfahren zu haben. Es hatte den Anschein, als ob die Bewegung die Ketten eines „überkommenen Spießertums“ regelrecht sprengen wollte. Die Institutionen Ehe und Familie mit patriarchalischen Geschlechterverhältnissen gerieten mehr und mehr in die Kritik. Dagegen formierten sich Gegenmodelle wie Kommunen und Wohngruppen. Kinderläden, selbstverwaltete Kindergärten, förderten eine antiautoritäre Erziehung. Die Frauenbewegung setzte sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Sexuelle Befreiung, Flower-Power, Happenings und Fluxus – die 68er-Bewegung war nicht nur revolutionär, sondern auch bunt und experimentell.
Der zweite Bürger-Uni-Abend in der Reihe „50 Jahre in Bewegung – 1968 und die Folgen“ zum Thema „Entfesseltes Ich – 1968 und das Experiment mit neuen Lebensformen“ geht u.a. den Fragen nach, inwieweit diese Experimente mit neuen Lebensformen in der heutigen gesellschaftlichen Wirklichkeit nachwirken, inwiefern der Drang nach Selbstinszenierung das Geschehen rund um die 68er-Bewegung begleitete und welchen Ambivalenzen auftraten. Auf dem Podium diskutieren zwei Zeitzeuginnen mit zwei Forscheti: Prof. i.R. Sibylla Flügge (ehemalige Jurastudentin der Goethe-Uni und Mitglied des Weiberrats, Juristin und Frauenrechtlerin, Frankfurt University of Applied Sciences), Gisela Getty (Fotografin, Regisseurin, Schriftstellerin, ehemaliges Mitglied der Kommune 1), Matthias Horx (Trend- und Zukunftsforscher) und Prof. Till van Rahden (Historiker, Université de Montréal). Die Moderation übernimmt Thomas Thiel, Ressort Forschung und Lehre, Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
1968 gilt bis heute als ein symbolisch aufgeladener Wendepunkt in der jüngeren gesellschaftlichen und politischen Geschichte. Üblicherweise steht das Jahr für den Aufbruch eines neuen demokratischen Denkens, die sexuelle Befreiung sowie die Emanzipation der Frau, die Abrechnung der Jüngeren mit der Schuld der älteren (Kriegs-)generation, die juristische Aufarbeitung des Holocaust und die Liebe zur Theorie. An insgesamt vier Terminen geht die Bürger-Uni-Reihe „50 Jahre in Bewegung. 1968 und die Folgen“ verschiedenen Facetten dieser Entwicklungen nach und versucht dabei auch, die Ambivalenz dieses Erbes zu beleuchten.
Die Reihe ist eine Kooperation der Goethe-Universität und dem Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.