Prof. Marcel Verhoff ist einer der renommiertesten Rechtsmediziner Deutschlands. In zahlreichen Prozessen tritt der Leiter des Frankfurter Instituts für Rechtsmedizin als Gutachter auf. Verkehrsdelikte unter Alkohol, Vaterschaftstests, spektakuläre Todesfälle – das Arbeitsfeld des Leiters der Frankfurter Rechtsmediziner ist riesig. Und nebenbei berät Marcel Verhoff auch Krimi-Autoren. Am 21.11. ist er zu Gast bei der Bürger-Universität zum Thema “Der reale Tatort: Verdrängen Klischees die kriminalistische Wirklichkeit?”
In der Krimi-Reihe“ Tatort“ sind immer wieder Szenen in der Rechtsmedizin zu sehen, im Münsteraner „Tatort“ hat ein Rechtsmediziner die Rolle des zweiten Ermittlers. Wie realistisch sind diese?
Was in den Medien zum Teil falsch dargestellt wird, sind selbständig durchgeführte Ermittlungen. Wir sind keine Ermittlungsbehörde, wie Polizei und Staatsanwaltschaft. Wir sind neutrale Sachverständige. Wir haben keinen Belastungseifer. Es ist enorm wichtig, dass in einem Rechtsstaat jeder zu seinem Recht kommt. Wir haben eben diese Fälle, wo Leute einer Straftat bezichtigt werden, die sie gar nicht begangen haben. Und es muss jemanden geben, der das objektiv bewertet.
Rechtsmediziner und Pathologen werden fälschlicherweise oft gleichgesetzt. Worin liegt der Unterschied?
Rechtsmediziner sind keine Pathologen. Die rechtsmedizinischen Obduktionen sind hauptsächlich die sogenannten gerichtlichen Leichenöffnungen, also von einem Gericht angeordnete Obduktionen. Hierbei geht es hauptsächlich darum, ob es ein natürlicher oder nicht natürlicher Tod ist und vor allem, ob ein Fremdverschulden vorliegt. [dt_quote type=”pullquote” layout=”left” font_size=”big” animation=”none” size=”2″]hr-iNFO-Interview mit Marcel Verhoff [/dt_quote]Todesfälle, für die ein anderer Mensch die Schuld trägt, müssen erkannt und bis ins Detail geklärt werden. Die Pathologie ist ein eigenes Fachgebiet. Ein Pathologe untersucht heutzutage hauptsächlich Gewebeproben. Daneben führt er klinische Sektionen zur Klärung von Todesursachen im Krankenhaus durch, was aber heutzutage fast nicht mehr stattfindet.
Sie kommen gerade vom Landgericht. Was für eine Rolle haben Sie da? Der letzte Zeuge?
Ich bin dort Arzt, ganz klar, Rechtsmediziner. In einem Fall ging es zum Beispiel darum zu klären, ob ein – lebender – Patient tatsächlich verprügelt worden oder betrunken die Treppe heruntergefallen ist. Die festgestellten Verletzungen müssen kritisch betrachtet werden: passen die Verletzungen zu der Zeugenaussage, ein Angreifer sei von rechts gekommen? Das Gleiche gilt auch für Verstorbene. Wenn jemand gewaltsam ums Leben gekommen ist, rekonstruieren wir den tatsächlichen Ablauf. Der Klassiker nach Stichverletzungen ist, dass der Tatverdächtige sagt, „der ist mir ins Messer gelaufen“ oder „reingefallen“. Da muss man schauen, ob das zu dem Gesamtverletzungsbild passen kann. Und, das ist ganz wichtig: ich habe dort auch Fragerecht. Ich kann selbst vor Gericht den Zeugen befragen und die Aussage mit den Erkenntnissen vergleichen, die ich habe. Es ist einfach ein Sammeln von Fakten.
Was passiert in der Rechtsmedizin tatsächlich?
Der Alltag besteht nicht daraus, von morgens bis abends im Sektionssaal zu stehen. Der überwiegende Teil unserer Arbeit beschäftigt sich mit Lebenden. Hier in der Rechtsmedizin haben wir auch Pharmazeuten, Chemiker, Physiker, Biologen, die unterschiedlichsten Fragestellungen arbeiten, die jeweils mit Kriminalfällen zu tun haben. Das Spektrum unserer Dienstleistungen reicht zum Beispiel von Leichenöffnungen über Alkohol- und Drogenanalysen, Abstammungstests, DNA-Diagnostik an Spuren, forensische Osteologie (Untersuchung von Knochen) bis zur forensischen Entomologie (Insekten auf Leichen zur Todeszeitbestimmung). Unsere forensisch-entomologische Expertise und die dazugehörigen Forschungen sind bundesweit gefragt. Unmittelbarer Auftraggeber kann sein die Polizei, der Staatsanwalt, das Gericht. Aber auch Privatpersonen können uns in Anspruch nehmen. Sie müssen das dann selbst bezahlen. Ein sehr wichtiger Teil unserer täglichen Arbeit ist jedoch die anwendungsbezogene Forschung, damit wir überhaupt wissenschaftlich begründete Aussagen vor Gericht treffen können.
Sind Sie ein „Tatort“-Fan?
Naja Krimis im Fernsehen, das reizt mich nicht besonders. Was mich reizt und das schon seit 1998, ist an der Entstehung von Krimis mitzuwirken. Wenn Krimi-Autoren und Drehbuchautoren mit gewissen Fragestellungen und Idee kommen und mich um Beratung fragen, das macht mir dann Spaß, da weiß ich auch, ich kann noch ein bisschen Einfluss nehmen und den Krimi realistischer und vielleicht sogar spannender werden lassen. Den Alltag von Rechtsmedizin will im TV bestimmt niemand sehen, da sind viel zu viele langweilige Anteile.
Die Fragen stelle Heike Jüngst.
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»Tatort«-Forschung neue Hauptreihe bei der Frankfurter Bürger-Universität
Raus aus dem Campus, rein in die Stadt – Bürger-Universität ist Goethe-Universität zum Anfassen. Bürgernah. Die »Vorlesungen« sind populär, aus dem Frankfurter Stadtleben nicht mehr wegzudenken. Im Schnitt 100 Besucher kommen zu den Veranstaltungen: ein buntgemischtes Publikum jeden Alters und aus der ganzen Region. Mitmachen ist erlaubt und erwünscht. Das Angebot an die Bürger ist riesig, die Themen aktuell. Während der Sommersemester hat sich die Vortragsreihe »Wie wir wurden, wer wir sind – Deutsche Biografien« etabliert. Die Wintermonate hingegen sind für große gesellschaftspolitische Themen reserviert. Das jetzige Wintersemester nimmt die Krimiserie »Tatort« ins Visier. Kult und Realität, Ermittlungstechniken und Kriminalität: Experten aus Film, Wissenschaft und Kriminalbehörden garantieren spannende Diskussionen.
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Dieser Artikel ist in gekürzter Form in der Ausgabe 34 des Alumni-Magazins Einblick erschienen.